In Aggression, Angst, Hundepsychologie, Philosophisches zu Hunden, Tibetterrier, Tierphilosophie

(Dritter und letzter Teil dieses Gedankens, Teil eins findet Ihr hier, Teil zwei hier)

Natürlich geht es mir nicht darum, unsere Hunde mit ihren Gefühlen, insbesondere ihrer Angst, alleine zu lassen. Im Gegenteil.
Bei uns selbst, bei anderen Menschen, bei meinem Hund und bei anderen Hunden versuche ich bewusst zwei Schritte zu gehen.

Erstens sehe ich hin (was manchmal, gerade wenn es um uns selbst geht, Mut erfordert). Ich sehe hin und versuche zu beschreiben, zu benennen – aber nicht zu werten. Ich versuche das zu sehen was da ist.

Es ist da.

Die Angst, die Wut, die Traurigkeit, die Verliebtheit, die Verzweiflung, der Ärger, die Begierde – sie sind da. Sie sind auch da, wenn ich die Augen zukneife. Dann suchen sie einen anderen Weg sich mitzuteilen.

Ich schaue sie an, versuche sie zu benennen, und bewerte sie nicht. Ich sage: „Dieser Hund hat Angst vor dem Knallgeräusch“, „ich bin jetzt stinksauer auf Dich“, „Du wirkst auf mich verliebt“.

In einem zweiten Schritt, ganz bewusst getrennt vom ersten, überlege ich – gegebenfalls mit anderen – was ich oder wir mit diesen Gefühlen tun wollen. Können wir sie dasein lassen, abwarten, sie verblassen lassen? Müssen wir etwas unternehmen? Sind sie auszuhalten? Wollen wir sie teilen, sie mitteilen, sie ausdrücken? Wollen wir sie niederringen?

Warum ist es mir so wichtig das zu trennen?

Weil ich oft beobachte, dass eine Gefühlsregung – bei sich selbst und anderen, bei Menschen und Hunden – schon verurteilt wird bevor man sich überhaupt die Zeit genommen hat sie anzuschauen. Man schämt sich seiner Angst, verurteilt die Aggression seines Hundes.

Menschen und Hunde haben Gefühle gegenüber der Welt. Das hat seinen Sinn und seine Berechtigung. Es hilft uns beim Lernen und Überleben, es macht das aus was wir ein „Gefühl der Lebendigkeit“ nennen, und es ist die Voraussetzung für das Empfinden von Vertrautheit und Freundschaft – unter Menschen wie die eines Menschen mit einem Hund. Diese Gefühle sind nicht immer nur angenehm. Weder wir noch unsere Hunde gehen wie der Klischee-Labrador ausschließlich fröhlich, schwanzwedelnd und immer nur das Beste erwartend durch die Welt.

Und das ist okay so.

Das ist es, was ich meinem Hund, mir selbst, anderen Menschen und ihren Hunden zu vermitteln versuche. Du hast diese Gefühle. Das ist in Ordnung. Du darfst sie haben. Und jetzt schauen wir, was wir damit machen.

 
Und: Ja, ich weiß, dass es ein sehr hoher Anspruch an einen Hund ist, sich zu seinen Gefühlen zu verhalten. Es erfordert einen hohen kognitiven Aufwand, zu dem auch viele Menschen nicht in der Lage zu sein scheinen. Es ist so viel leichter, gleich loszukläffen, sich draufzustürzen oder auch wegzurennen. Wenn der Abstand zwischen Ereignis und Antwort auf das Ereignis gleich null wird, dann sprechen wir von Reaktivität. Reaktivität scheint ein immer größer werdendes Problem unter Hunden zu sein, und ich komme darauf sicher ein anderes Mal zu sprechen.

Ebenso falsch und ebenso gefährlich kommt es mir vor, sich selbst, einem Hund oder einem anderen Menschen zu vermitteln: Deine Gefühle sind falsch.

Ich versuche also zu sagen: Okay, Du hast Angst vor den Silvesterböllern. Ich sehe Deine Angst, ich nehme Dich und Deine Angst war. Was tun wir nun mit dieser Angst? Inwieweit kannst Du dir selber helfen? Was kann ich tun, dass es für Dich erträglich wird? Ich weiß, dass das Spektakel ungefähr zwei Stunden dauert, ich weiß wann es seinen Höhepunkt erreicht, wie kann ich Dir mit diesem Wissen helfen?

Mein Hund muss Silvester nicht mögen. Er muss nicht um 0h mit mir auf der Strasse stehen. Aber ich möchte dass er es unbeschadet übersteht, dass er nicht traumatisiert wird, dass er nicht unzumutbar leidet, und dass unsere Beziehung keinen Schaden nimmt.

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