In Abenteuerspaziergang, Aggression, Angst, BAT, Hund im Stress, Hunde im Markgräfler Land, Hundebegegnung, Hundeerziehung, Hundephilosophin, Hundepsychologie, Hundeschule, Hundetraining, Mensch-Hund-Beziehung

Wenn Hundetraining gut läuft, ist es meiner Meinung nach so: Der Hund lernt was von mir. Die Besitzer lernen was von mir. Der Hund lernt was von den Besitzern. Und: Ich lerne was vom Hund. Und ich lerne was von den Besitzern.

Oft überwiegt natürlich ein Aspekt, zum Beispiel, wenn es darum geht, dass ich dem Hund schnell was beibringe (Maulkorb tragen, an der Leine laufen…), oder der Besitzer endlich verstehen will, warum sein Hund xy tut.

Aber ich würde tatsächlich sagen, dass ich von jedem Kunden, mit dem ich intensiver zusammen gearbeitet habe, als Trainer auch etwas gelernt habe. Von Hunden habe ich zum Beispiel gelernt: „Wenn du das so erklärst, versteh ich es aber nicht“, oder auch „warum hast du das nicht gleich gesagt, jetzt ist alles klar“, oder: „das macht mir nichts aus, aber das hier schon“. Hilfreich ist es, wenn Hunde mir sagen können, was sie brauchen, um mit einer Situation klarzukommen. Dann kann ich mit den Besitzern Strategien entwickeln.

Ich finde es toll an meinem Job, dass ich mit jeder Begegnung die Möglichkeit habe, selbst dazu zu lernen, und mich als Trainerin weiterzuentwickeln. Schade, wenn Trainer das nicht tun!

Ich glaube, dass solche konkreten Fallgeschichten für Euch Leser total interessant sind…

… und mir ist es wichtig, die Privatsphäre meiner Kunden zu schützen. Schließlich vertraut man seinem Hundetrainer einiges an, und das ist auch wichtig für eine gute Arbeitsbeziehung. Deshalb habe ich – so gerne ich selbst manchmal Bestatter-Blogs, Kinderarzt-Blogs & Co lese – hier bisher fast nichts von meinen Kunden erzählt.

Ich will das jetzt mal in etwas anonymisierter Form probieren.

5 Dinge, die von meinem letzten Intensiv-Kunden gelernt habe

  1. Verlass dich als Trainer nicht auf deine Informationen, wenn du einen Hund kennen lernst. Ich führe gern ausführliche und intensive Erstgespräche, und frage zum Beispiel auch ab, was vorherige Trainer gesagt haben. Selten habe ich dabei so viel Schlimmes über einen Hund gehört wie bei meinem letzten Kunden. Ich war sehr gespannt, ihn kennen zu lernen, denn ich konnte mir zwei Optionen vorstellen: ein völlig verängstigtes armes Würstchen, das mit der Welt einfach so gar nicht klar kommt und bei jedem Geräusch, jedem Blick in Panik verfällt – oder ein großer, rücksichtsloser Aggro-Hund, der auf alles losgeht, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Meine Informationen waren sachlich nicht falsch, es waren Einschätzungen einiger durchaus namhafter Hundetrainer dabei, aber: der Hund, der hier aus dem Auto stieg, war keine der beiden Optionen. Der war offen, an der Welt interessiert, etwa angespannt, manchmal nett, manchmal überfordert, manchmal zu allein mit sich – aber im Großen und Ganzen „normal“…
  2. Achte als Trainer auf deine Worte. Viele Jahre lang waren den Besitzern über ihren Hund (und über sie selbst als Hundehalter und Menschen) von Hundetrainern schlimme Sachen gesagt worden. Sicher gab es Gründe dafür. Ich glaube (oder befürchte) aber, dass die meisten Trainer da was rausgehauen haben, ohne lang drüber nachzudenken. Das Schlimme ist: die Besitzer denken lange darüber nach. Für Jahre, in diesem Fall. Ich halte ja eh nicht viel davon, zu sagen, „der Hund ist so-und-so“ (ihr wisst schon: aggressiv, dominant, ein Angsthund, bösartig…), weil wir alle uns entwickeln, und Label nicht gut tun. Aber wenn man tatsächlich Sachen sagt wie „das lernt der nie“, „der wird eh irgendwann eingeschläfert“, „die Rasse ist halt Scheiße“, „du solltest keinen Hund halten“ – dann sind das Verletzungen, die lange brauchen, um zu heilen. Und Besitzer glauben ja dem Experten auch erstmal, das heißt, da wird auch noch in der Beziehung richtig Schaden angerichtet.
  3. Hunde und Menschen wachsen an Abenteuern. Da ich viel mit ängstlichen, gestressten und sonstwie herausgeforderten Hunden und Menschen) arbeite, bin ich gewohnt, vorsichtig zu planen und zu agieren. Schließlich lernen wir alle am Besten am Erfolg, und nicht durch permanente Überforderung. Was ich aber, wenn man länger zusammen arbeiten kann, sehr gerne ins Training einbaue, ist ein kleines „Abenteuer“, etwas, was man sich trauen muss. Selten hatte ein Hund (und sein Mensch) so viel Spaß daran wie mein letzter Kunde. Für den waren schon Waldwege gesperrt worden (von Trainern!), wenn man mit ihm was üben wollte! Wir sind stattdessen auf einen belebten Barfußpfad und Sinnesparcours gegangen. Wir sind an Bauarbeitern vorbeigegangen, über kleine Brücken, durch ein Spiegelkabinett. Wir sind balanciert. Und Hund und Mensch strahlten mit jeder gemeisterten Herausforderung mehr. Gewannen an Sicherheit. Sammelten positive Erfahrungen. Der Witz bei diesen Dingen ist: nicht überfordern, nicht drängen, nicht zwingen (sonst wird es ja doch wieder nur eine blöde Erfahrung). Sondern die Welt so einrichten, dass ein Abenteuer möglich und bewältigbar scheint. Manche Ideen dazu nehme ich aus dem Tellington-Training, aus der Montessori-Pädagogik, Abenteuerpädagogik für Menschen. Es soll um „Lust“ am Abenteuer gehen, Lust, sich lebendig zu fühlen, sich als stark und fähig zu erleben. Für Hund und Mensch.
  4. Fühle den Schmerz, aber lass dich nicht von ihm überwältigen. Dieser Hund hat ein paar Dinge erlebt, die echt weh getan haben müssen, seelisch wie körperlich. Das haben viele Hunde, mit denen ich arbeite. Manchmal ganz offensichtlich, manchmal erst, wenn man darüber nachdenkt, etwas mehr Wissen und Licht hineinbringt. Damit meine ich zum Beispiel auch so etwas wie in einer Welt leben zu sollen, die so gar nicht zu den eigenen Fähigkeiten, Stärken, Schwächen, der genetischen Ausstattung und den Bedürfnissen passt. Über viele meiner Kunden-Hunde denke ich: Was für eine arme Sau. – Mein letzter Intensiv-Kunde hatte ganz, ganz nette Menschen, die sich von Anfang an um ihn und sein Wohlergehen bemüht haben. Trotzdem sind eben Dinge passiert, deren Spuren ich in seinem Verhalten sehen kann. Sei es, jedesmal Befürchtungen haben zu müssen, wenn ein Mensch einem entgegen kommt. Dass das wieder blöd wird. Glauben zu müssen, es wäre besser, gleich auf Angriff zu schalten. Oder sei es, es so schwierig zu finden, einfach mal durchzuschnaufen und durch die Gegend zu rennen und unbeschwert zu sein und Spaß zu haben. Das vielleicht gar nicht können oder dürfen. – Manchmal schaue ich den Hunden in die Augen, oder spüre sie, wenn sie sich leicht an mich anlehnen, oder wenn ich mit ihnen arbeiten darf, und dann spüre ich ihren Schmerz. Ich finde es wichtig, das zu spüren. Ich versuche, ihnen zu sagen: ich nehme dich wahr, ich sehe, dass das wehgetan hat. Ich sehe, dass du das tust, was du tust, um dich vor mehr Schmerz zu schützen. Ich fühle mit dir. Das ist oft ein ganz wichtiger Moment in der Begegnung mit einem Hund. Aber es ist kein Moment, an dem ich als Trainerin lange stehen bleiben kann. Und es ist zum Glück auch kein Moment, an dem die meisten Hunde lange stehen bleiben wollen. Sie wollen wissen, was sie tun können, was ich ihnen anbieten kann, wie sie weiter leben können. Und das kann ich als Trainerin ihnen erklären. – Den Schmerz fühlen, aber nicht bei ihm stehen bleiben.
  5. Training ist ein Handwerk, das man als Trainer beherrschen muss. „Training ist ein Handwerk“, ist das Zitat von Bob Bailey, das durch Trainerkreise zirkuliert. Selten habe ich so viele gescheiterte Trainingsversuche erzählt bekommen, wie von den Besitzern meines letzten Intensiv-Kundens. Und fast immer konnte ich mir zusammen reimen, was der oder die Trainer/in da vorhatte. Und: was schief gegangen ist. Meistens ist es ja gar nicht der Fall, dass Hundetrainer blöd oder bösartig oder ideenlos oder aus Gewohnheit gewalttätig sind. Trotzdem geht echt viel schief. Das wirft kein gutes Licht auf die Ausbildung von Hundetrainern. Ich habe mich damit in letzter Zeit etwas mehr beschäftigt, da viele ehemalige Kunden gerade in irgendeiner Hundetrainerausbildung stecken (zum Glück viele unterschiedliche, so dass ich vergleichen kann). Das sind alles nette Menschen und als meine Kunden prinzipiell an Gewaltfreiheit interessiert. Aber sie sind nach Ende ihrer (besseren oder schlechteren) Ausbildung eben ganz normale Berufsanfänger. Sie machen Fehler, sie haben keine Erfahrung, sie können noch gar nicht alle Eventualitäten kennen. Manche wissen viel, haben aber wenig über die Umsetzung auf das „echte Leben“ gelernt. Manche können mit Hunden gut umgehen – aus Begabung, oder Erfahrung, selten durch die Ausbildung. Manche können das nicht, und haben keine richtige Gelegenheit, es zu lernen. Manche können mit Menschen gut umgehen – weil sie es eh konnten, oder weil es in manchen Ausbildungen mittlerweile vorkommt – manche nicht. Ich wüsste derzeit keine Ausbildung, die angehenden Hundetrainern in geschütztem Rahmen ermöglicht, ihre ganz grundlegenden Trainingsskills – Handling, Timing, Planung – zu perfektionieren. Stattdessen – Paragraph elf hin oder her – darf jeder an jedem Hund mal ein bisschen rumtrainieren. Es ist Besitzern meines Erachtens nicht zuzumuten, da zu erkennen, wer das vernünftig macht. Bei meinem letzten Intensivkunden höre ich dann Geschichten wie: die Ankündigung der Jackpot-Belohnung wurde zum Auslöser für Angriffsverhalten (kleiner Timingfehler in der Gegenkonditionierung – schnell passiert!). Signale wurden zwar ewig aufgebaut, aber nie generalisiert, und sind daher auf dem Spaziergang nicht einsetzbar. An der Leine gehen geht nur, wenn man nicht geradeaus geht. – Das sind alles kleine Fehler, und, hey, ich sage wirklich nicht, dass mir keine Fehler passieren. Aber: Training ist ein Handwerk. Ich muss als Trainer besser darin werden. Ich muss Fehler ausbügeln können. Ich muss trainieren können. Sonst bin ich doch völlig unglaubwürdig!

 

Danke, lieber anonymer Hund, dass du mich an all das erinnert hast.

… und danke an Tom von https://world-of-juli.com  für das tolle Titelfoto!