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„Es ist zu früh!“, war für mich nach Nomis Diagnose ein vorherrschender Gedanke, „ich dachte, wir hätten noch Zeit!“ Wut und Trotz und Nichtwahrhabenwollen mischen sich in diese Gedanken. Es war alles so schnell gegangen in der Tierklinik, wir waren so unvorbereitet, so überrascht. Mir kamen Zweifel: Wie können die Leberwerte noch so gut sein, wenn die Leber auf dem Ultraschall so schlimm aussieht? Wieso hatte er uns Medikamente mitgegeben, wenn es doch eh komplett aussichtslos war? Nachdem Nomi am Dienstag und Mittwoch recht elend im Bett gelegen hatte, ging es ihr am Donnerstag deutlich besser. Wie konnte das sein?, fragten wir uns, das ist doch kein sterbender Hund!

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Der Tierarzt hatte uns zwei Alternativen beschrieben: sie stirbt von selbst, oder es geht ihr schlechter, dann sollten wir sie in drei Tagen einschläfern lassen. Jetzt war der dritte Tag – und es ging ihr besser. Wir waren völlig ratlos.

Nach einem Telefonat mit der einzigen Tierärztin, der wir beide emotional richtig vertrauen, die aber eine ganz andere Fachrichtung hat, entschieden wir uns, eine zweite Meinung einzuholen.

Für Nomi hieß das: nochmal Ultraschall, nochmal in dieser blöden Halterung auf dem Rücken liegen, nochmal Tierärzte, angefasst werden, rasiert werde, Glibbergel auf den Bauch kriegen, festgehalten werden. Nochmal Zittern, Schweißfüße und Gegenwehr. Aber es war ruhiger, freundlicher, vorsichtiger. Die Ärztin nahm sich sehr viel Zeit, den ganzen Bauchraum anzuschauen. Sie bestätigte, dass die Leber katastrophal aussah. Die Milz war in Ordnung (die Milz könnte man eentfernen, die Leber nicht). An der Nebenniere entdeckte sie eine große Metastase. Sie entnahm Proben vom Blut im Bauch und aus der Leber, und fand unterm Mikroskop Krebszellen.

Als mir diesmal wirklich schlecht wurde, bot man mir ein Glas Wasser an, und wir bekamen genug Zeit, alles zu fragen was uns einfiel. Wir erfuhren, dass es unseriös sei, nur aufgrund eines Ultraschalls eine Prognose zu stellen. Außerdem sei es kein Leberkrebs, sondern ein Lyphom in der Leber.

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Das heißt auch, dass es unter Umständen möglich wäre, die Lebenserwartung durch eine Chemotherapie zu verlängern. Dabei werden Tabletten, Spritzen und Infusionen im Wechsel wöchentlich ambulant in der Klinik verabreicht. Die Nebenwirkungen sollen nicht so schlimm sein wie bei einer Chemotherapie am Menschen: während man beim Menschen die Dosierung bis zum so-gerade-noch-Erträglichen ausreize, um den Krebs wirklich zu beseitigen, dosiere man beim Tier so, dass gute Lebensqualität erhalten bleiben kann. Man kann damit statistisch betrachtet etwa ein Jahr gewinnen, wenn es bei dem jeweiligen Hund anschlägt.

Jetzt waren wir also mittendrin in der philosophischen Diskussion. Wir luden am Abend drei Freunde ein, und Nomi legte sich in die Mitte zwischen uns alle und schlief, während Habca von einem zum anderen wanderte und sich kraulen ließ. Ich hatte den Tag über im Internet recherchiert, es gibt viele Geschichten von am Lymphom erkrankten Hunden und auch einige gute pdfs von Tierkliniken (findet ihr mit der Suchmaschine). Aber wie es für Nomi weitergehen würde, mit und ohne Behandlung, das kann keine Statistik der Welt sagen. Und: Wenn wir uns für das eine entschieden haben, werden wir nie wissen, wie es gewesen wäre, wenn wir anders entschieden hätten.

Wir wollten versuchen, die Entscheidung zu treffen, die wir nicht bloß für die beste hielten, sondern eine, die in Nomis Sinne wäre.

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Ich glaube nicht, dass für Nomi Lebensdauer ein wichtiger Wert ist. Die Krankheit besiegen kann Chemotherapie nicht. Ich glaube, dass Nomi sehr empfindlich ist an Seele und Körper, sie hat einen empfindlichen Magen, empfindliche Haut, und reagiert stärker auf Stress als jeder andere Hund den ich kenne. Für Nomi sind Tierarztbesuche nicht „ein bisschen blöd“, sondern existenzielle Bedrohungen. Der jeweilige Tag ist dann für sie gelaufen. Soviel Entspannung und Stressreduktion kann ich ja gar nicht machen, um wöchentliche Tierarztbesuche abzufangen! Und wie gut würde es ihr damit wirklich gehen? Was würden wir gewinnen? Was könnten wir verlieren?

Wir redeten lange an diesem Abend, es war traurig, es war aber auch schön, und mir wurde immer leichter ums Herz. Ich spürte für mich ziemlich deutlich: Für diesen Hund in diesem Zustand, in diesem Alter, mit diesen Voraussetzungen, ist eine Chemotherapie nicht das richtige.

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Wir wollen sie nicht verlieren – aber sie soll gehen dürfen, wenn sie gehen muss.

Ohne Behandlung schätzte diese Ärztin Nomis Überlebensschance auf „eher drei Wochen als drei Tage“. Wir geben ihr das in der anderen Tierklinik verschriebene Cortison weiter und lasen, dass es auch Hunde gibt, die nur unter Cortison noch ein paar Wochen länger lebten.

Aber wie gesagt: Dauer ist nicht alles. Wir versuchen seitdem, uns darauf zu konzentrieren, zu erspüren, was Nomi braucht und will. Sie geht zehn bis zwanzig Minuten spazieren, sie sagt uns, wenn es genug ist. Sie schläft sehr viel, frisst gern, ist meistens gern in unserer Nähe, zieht sich aber auch öfter zurück. Angefasst werden will sie jetzt nicht mehr gern, aber ab und zu hat sie Lust darauf und fordert es ein.

Wir beschlossen, dass unsere Wohnung jetzt Nomis persönliches Hunde-Hospiz sein sollte. 

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