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Habca und ich spielen im Moment gerne Abenteurer. Dann sitzen wir auf dem Sofa und sagen: „Wenn wir da parken, wo wir immer parken, und in den Wald gehen, und dann gehen wir rechts statt links – was dann wohl passiert?“

Und mit leuchtenden Augen fahren wir los.

Aber was tatsächlich passierte wenn man im Wald rechts statt links geht, das hätten wir nie erraten.

Erst geht man im Wald den Waldrand entlang, zur rechten geht es ins saftiggrüne Tal herunter, man selber steigt etwas aufwärts, gerade so dass der Atem schneller geht, und das Herz etwas stärker pocht. Ziemlich plötzlich ist der Wald zu Ende. Wiesen, Felder, Mirabellenbäume, Kühe. Spätsommervorabendsonne, und ich weiß wieder, wieso ich gerne in Frankfurt wohne (weil das hier vor der Haustür liegt).

Wir entscheiden uns für einen Weg zwischen den Feldern, entlang der Obstbäume, treffen ein paar Hunde und überlegen, ob man, wenn man da hinten links geht, wohl durch das andere Tal zum Auto zurückkommt. Aber müsste da nicht irgendwo die Große Straße sein? Und wo man wohl die Bahn überqueren kann?

Der alte Mann ruft uns hinterher: „Ein Pudel?“ Und nachdem ich dreimal T-I-B-E-T-Terrier gesagt habe und er meinte „die sind aber selten, ist ja ein weiter Weg hierher von Tibet“ und ich etwas gedankenverloren „mmh, jaja“ gesagt habe, frage ich ihn, ob man diesen Weg wohl weiter gehen könne und dann links…

Er gibt mir eine äußerst komplizierte und sehr hessische Wegbeschreibung, von der ich weniger als die Hälfte verstehe, und informiert mich zwischendurch, dass sein Enkel gerade zwölf geworden sei, und deshalb also heute Traktor fahre, denn mit zwölf lernte man das ja, und er suche ihn nun gerade hier auf dem Feld. Das wiederum finde ich faszinierend, liebe ich doch das Autofahren und seine Symbolik von Freiheit und Unabhängigkeit so sehr und musste achtundzwanzig werden bevor ich es richtig auskosten konnte, und ich stelle mir vor, wie glücklich die zwölfjährige Miriam allein auf dem Traktor wohl gewesen wäre.

Vielleicht hat er meine Verwirrung über den Weg gesehen, jedenfalls sagt er dann „Kommen Sie, ich zeig’s Ihnen“ und wir gehen ins Dorf, und die Führung beginnt. Ein Abenteuermärchen von Rafik Shami oder Alessandro Barricco. Er zeigt mir Jerusalem (die Häuser mit den niedrigen Dächern), die Judenstadt (nach einiger Sorge ob ich ihn wegen dieser Bezeichnung für einen Antisemit halten würde), er macht mich auf die fehlenden Mirabellen dieses Jahr aufmerksam und erzählt von dem Mann, der vom Mirabellenbaum gefallen ist, sieben Meter hoch. Die Pferde dort hinten, die Kühe, die gehören ihm, das Feld dort ist nicht gut geeggt, es ist noch zu feucht. Die Straße verlief früher anders, hier wohnt seine Tochter, dort kommt der Bruder vorbei und holt die Kühe heim. Ich sage nicht viel, aber ich lerne und lächle und staune. Irgendwann sind wir auf seinem Hof, er sammelt alte Traktoren, die er restauriert, er hat einen antiken Wagenheber und alte Wagen, die von Kühen gezogen werden. Habca lernt die freilaufenden Hühner kennen, die sich an sie anschleichen, riesige Stallhasen, Hofkatzen, ein Schwein und zwei veritable Hofhunde. Schließlich trappeln die Kühe herein, „die kommen ganz allein?“, frage ich noch irritiert, während Bauer Schmitt sie mit Namen begrüßt, und Habca staunend und still zwischen meinen Beinen sitzt und guckt.

Es ist spät geworden, aber wir müssen zumindest noch seinen alten Käfer sehen, die Disteln, die Borreliose heilen können, und er muss uns vom Keltern erzählen. Habca spielt dem großen Hofhund gegenüber das kleine schüchterne und doch etwas zickige Mädchen. „Jetzt müssen wir aber wirklich…“ setze ich zum hundertsten Mal an, und Bauer Schmitt zeigt uns eine Abkürzung, einen Schleichweg, der war letztesmal gewiss noch nicht von Brennesseln und Brombeeren überwuchert, und dort steht zufällig noch ein Holzwagen, und ein alter Traktor, die Plane heruntergerutscht, und wir müssen versprechen wieder zu kommen, frischgemolkene Milch zu trinken und den selbstgemachten Äppler, und natürlich dürfte ich auch Traktorfahren.

Es dämmert bereits im sattgrünen, sanften Tal, Habca rennt und rennt wie ein Welpe, wie eine wilde Ponyherde. Dort hinten schaut das Dach der Gaststätte durch die Bäume hindurch. Jetzt noch an den Kühen vorbei, und wir stehen direkt vor unserem Auto. Ein bisschen fühle ich mich wie nach einer langen Reise, oder nach einer Nacht in der man das Buch nicht zuklappen konnte, heimlich, immer weiter las und ganz in der anderen Welt verschwand…

Showing 4 comments
  • Ulli

    Mal ehrlich,

    ein Abenteuer, dessen Ausgang man schon im Vorhinein kennt, hat diese Bezeichnung nicht verdient.

    An diesen Tag werdet ihr euch sicherlich noch sehr lange sehr gern erinnern.

  • Veronique, Dobby & Lynn

    faszinierend… und wie immer super geschrieben!

  • ppfrieda

    Schöööööön, das klingt nach einem tollen unerwarteten Erlebnis. Aber das ist ja auch das Tolle am Rausgehen und unterwegs Sein – es passieren Dinge, man erlebt etwas. Auch wenn es nicht immer so interessant ist, wie ein Gespräch mit Bauer Schmitt. :-)

  • Balto

    Hi Philosophin,
    das mit dem Bauern Schmitt gefällt mir gut, am liebsten würde ich bei dem auch mal vorbeischauen. Herrchen sagt, auf meinem neuen Blog unter http://www.baltos-welt.blogspot.com philosophiere ich auch manchmal. Ich weiß zwar nicht so recht, was das ist, aber allein das Wort finde ich cool! Vielleicht hast Du ja mal Lust, bei mir vorbei zu schauen. Ein Link zu mir wäre echt toll, ich setze schon mal einen zu Dir. Und grüße mir Habca ganz lieb von mir! Wuff, Balto

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