In Aggression, Hund entlaufen, Hund in Frankfurt, Hundeleine, Hundepsychologie, Hunderassen, sogenannte Kampfhunde (SOKAs)

Dieser Post könnte etwas länger werden. Es sei deshalb vorneweg gesagt, dass wir drei unser morgendliches Abenteuer bis auf kleinere Blessuren gut überstanden haben. Für den Hund, den ich gerettet habe, sieht es – so ist das in unserer Gesellschaft, und besonders, wenn man bestimmten Rassen angehört – weniger gut aus. Aber er lebt, und das ist nicht selbstverständlich.

Der Reihe nach.

Wir sind zeitig aufgestanden, weil wir zum Sport gehen wollten, und machten Frühstück. Unsere Wohnung liegt im dritten Stock und schaut auf eine belebte Kreuzung herunter. Ich sah einen Mann mit angeleintem kleinerem Hund die Straße schräg überqueren, ein großer Hund lief hinter ihm her. Ich setzte das Nutella-Glas ab und trat ans Fenster, die Situation kam mir seltsam vor: Der große Hund schien nicht zu dem Mann zu gehören. Tatsächlich verschwand der Mann mit angeleintem Hund hastig in einem Hauseingang, der große Hund lief weiter, erst auf dem Bürgersteig, dann bei rot über die Fußgängerampel. Kein Mensch folgte ihm, keiner rief nach ihm. Einige drehten sich um, aber niemand unternahm etwas.

Ich dachte an einen Mann, an der ich sehr oft denke, obwohl ich ihn nicht kenne. Ich denke an einen einzigen Satz, den er mir gesagt hat, vor ziemlich genau einem Jahr. Ich fragte ihn, wie ich ihm danken könnte, für das, was er für mich getan hat, ob ich ihm Blumen schicken dürfte, ob er mir seine Adresse geben würde. Er wehrte ab, und sagte nur diesen einen Satz: „Versprechen Sie mir einfach, dass, wenn Sie einmal einen freilaufende Hund auf der Straße sehen, Sie dasselbe tun werden.“ Ich versprach es, und ich nehme dieses Versprechen sehr ernst.

Schuhe anziehen, nach der Leine greifen, Handy und etwas Hundefetter einstecken waren eine einzige Bewegung, ich rannte die drei Stockwerke herunter, um die Ecke. Der Hund stand auf dem Grasstreifen und schnüffelte, als er mich auf ihn zukommen sah ging er langsam weiter. Ich sprach ihn an, er blieb stehen, wedelte, sah mich aufmerksam an. Er war hellbraun, mit schwarzer Maske, etwa 60cm hoch und sehr kräftig. Spontan dachte ich an einen Tosa Inu, aber sicher bin ich mir nicht, und aufgrund der Seltenheit der Rasse ist es eher unwahrscheinlich. Seine großen dicken Pfoten und sein Gang zeigten mir, dass er noch recht jung war. Ich berührte ihn, er war sehr freundlich, und ich leinte ihn an. Er trug kein Schild an seinen zwei Halsbändern, ein breites Kettenhalsband und ein massives Lederhalsband. Ich überlegte, bei Tasso nachzufragen, ob er vermisst wurde, oder ihn gleich ins Tierheim zu bringen. Dann beschloss ich, mit ihm ein Stück in die Richtung zu gehen, aus der er gekommen war, und nachzusehen, ob er vielleicht gesucht würde.

Der Hund kam freudig mit mir. An der Ecke trafen wir den Mann mit dem angeleiten Hund wieder, er telefonierte, und rief in sein Handy: „Eine junge Frau hat ihn festgehalten!“. „Kennen Sie den Halter?“, fragte ich, und freute mich schon, aber er berichtete mir erstmal, wie gefährlich der Hund sei, und dass er seinen schon vor ein paar Wochen gebissen habe und eine Anzeige lief. Er gehöre zu einem Autohändler und liefe von dessen Hof öfters fort. Der Hund legte mir unterdessen seine mächtigen Vorderpfoten auf die Schultern. Er war nach wie vor freundlich, aber dann begann seine Hüfte sich rhythmisch zu bewegen. „Nee, so nicht, mein Junge“, beschied ich ihm, und zog ihn am Halsband von mir herunter. In diesem Moment wurde mir zum ersten Mal wirklich klar, dass dieser Hund deutlich schwerer war als ich selbst. Der Hund nahm die Nylonleine ins Maul. „Vorsicht“, sagte der Mann, „der beißt Leinen sofort durch“. Was sich nun entspannte, war ein Ringkampf der besonderen Art: Ich versuchte, das Riesenviech davon zu überzeugen, hier zu bleiben und auf die Polizei zu warten, dabei die Leine nicht durchzubeißen und mich nicht zu besteigen. Der Hund versuchte, mit seinen starken Vorderbeinen mein Bein oder meine Taille fest zu umklammern. Der Mann mit dem angeleinten Hund stand daneben, machte kluge Bemerkungen in denen er einerseits die Gefährlichkeit des Hundes beschrieb, und „Vorsicht“ rief, andererseits immer wieder, wenn ich versuchte, ihn von mir abzubringen und mich irgendwie durchzusetzen, sagte: „Der will ja nur spielen“. Mir wurde klar, dass meine Kraft nicht mehr lange reichen würde. Der Hund machte keine Pause und war einfach zu stark und zu schwer für mich. Ihn festbinden kam nicht in Frage, weil er die Leine eindeutig durchbeißen wollte. Ich wollte F. anrufen und ihn bitten herunterzukommen und mich abzulösen, aber an mein Handy zu kommen war unmöglich, ich brauchte beide Hände.

Glücklicherweise konnte F. den Ringkampf vom Fenster aus sehen, wenn auch nicht hören, was gesprochen wurde. Er kam herunter – hatte allerdings Habca dabei. Als der Hund Habca über die Straße kommen sah, stürzte er sich in einem Satz auf sie, ich stemmte mich gegen die Leine, war aber chancenlos und schlug der Länge nach auf den Boden. „Nimm Habca da weg!“, schrie ich noch. Denn wenn der Hund auch mir gegenüber sich zwar unmöglich, aber nicht aggressiv verhielt, so schien er Hunden gegenüber ja aggressiv zu sein. Später erfuhren wir, dass es sich wohl um den mysteriösen „Schrottplatzhund“ handelte, über den sich Hundehalter hier gerne Geschichten erzählen: Zwei Hunde habe er schon totgebissen.

Im Hinfallen ließ ich die Leine los, vielleicht eine Reaktion aus frühen Reitstunden, jedenfalls wurde ich so nicht hinterhergeschleift. Habca quietschte, sprang aber zur Seite. F. und ich verständigten uns blitzschnell: Er sprang nach der Leine des fremden Hundes, ich ergriff Habcas Leine und zog sie aus dem Gefahrenbereich.

Wer mich kennt, weiß, dass ich Habca extra beigebracht habe, erst nach dem Frühstück das erste Mal rauszugehen: Vorher ist mein Kreislauf zu schwach. Der Blutdruck eines jungen Mädchens. ;-) Ich hatte noch nichts gegessen, nichts getrunken, und ich musste mich kurz auf den Boden setzen. Meine beim Sturz aufgeschürften Hände brannten, Habca kletterte mir auf den Schoß, F. rang mit dem Hund. Einige Leute blieben stehen. Nur die Polizei ließ immer noch auf sich warten.

Da standen wir also, ich mit Habca an der Leine, der Mann mit seinem angeleinten Hund, und F., der mit dem fremden Hund rang – der wollte ihn genauo gerne besteigen wie mich. Diesmal konnte ich als Zuschauer kluge Tipps geben, wir versuchten eine Leinenführung zusätzlich um den Bauch, wir versuchten Härte und Strenge – dann warf er sich spielerisch auf den Rücken, zappelte und schnappte wieder nach der Leine. Nichts half, er gab nur sekundenweise Ruhe.

Endlich traf die Polizei ein, ein freundlicher Mann in unserem Alter, eine blonde Frau, vielleicht dreißig, und eine Schülerpraktikantin mit dicker schußsicherer Weste. Erst wollte der Mann mit seinem Hund ihnen alles über die alte Anzeige erzählen. F. wurde nur kurz gefragt, ob er klar käme. Der Polizist telefonierte und fragte uns, was das für eine Rasse sei. F. sagte, vielleicht ein Kangal, aber ich stritt das sofort vehement ab – nicht nur, weil ich tatsächlich nicht glaube, dass es ein Kangal war, sondern vor allem, weil der Kangal bei uns in Hessen auf der Liste steht – der Tosa Inu und auch der Mastin Espanol, der mir auch durch den Kopf ging, nicht. War es ja doch mal zu was gut, die Liste auswendig zu können! ;-) Denn obwohl es nicht gerade Spaß machte, mit dem Hund zu ringen, so wollte ich doch sein Bestes, und dass daraus nichts würde, sobald das Wort „Kampfhund“ irgendwie im Raum stünde, soviel war klar. „Was glauben Sie denn?“, fragte mich der Polizist, und ich sagte vage „irgendein Molosser“, was ihm aber nicht so gefiel, weil er die Rasse nicht kannte. ;-)

Die Polizisten hielten abstand von F.s Ringkampf, ich sah, dass auch er erschöpft war. Irgendjemand sollte kommen, ein Hundefänger vielleicht, es wurde weiter telefoniert. Ich versuchte dem Polizisten zu vermitteln, dass dieser Hund nicht aggressiv und nicht gefährlich sei, aber ich verstand, dass es ihm bei diesem Anblick schwer fiel, das zu glauben. Zwischendurch bat ich die Praktikantin, Habca zu halten, und versuchte noch eine andere Leinenführung und den Hund zu zweit zu halten. Ich überlegte, eine zweite Leine zu holen, oder irgendetwas, was ihn beruhigen konnte – ob er etwas kauen würde. Aber F. bat mich, zu bleiben. Später erzählte er mir, dass er sich nicht so sicher über die Harmlosigkeit des Hundes war, und es ihn beruhigte, dass ich diese immer neu wiederholte. Ich versuchte, das Verhalten des Hundes zu erklären – er war jung, unkastriert, nicht ausgelastet und vollständig unerzogen. Aber ich war mir die ganze Zeit über vollständig sicher, dass er nicht aggressiv uns gegenüber war, und uns nichts tun wollte. Das einzige, was passieren konnte, war, dass er uns umwarf.

Keiner machte Anstalten, uns zu helfen. Viel später erst, beim Betrachten von Fs verletzten Händen, dachten wir, dass es schon gut gewesen wäre, wenn uns der Polizist seine schicken Lederhandschuhe geliehen hätte, die er trug. Die Beamten blieben in sicherem Abstand, hatten offensichtlich etwas Angst, und schließlich sagte er zu uns: „Gut, dass sie hier sind, und sich so gut auskennen. Ich hätte mit dem nicht so lange rumgefackelt.“ Was er damit meinen könnte, erscheint mir unzweideutig, und ich kenne es noch nur zu gut von Berliner Vorfällen.

Also warteten wir. Ab und zu lag der Hund still, F. konnte dicht am Kopf einen Fuß auf die Leine stellen. Aber irgendwann sprang er wieder auf, und er war einfach zu schwer für uns. Nach einer gefühlten Ewigkeit näherte sich Blaulicht und Sirenengeheul, ein Polizist der Hundestaffel kam, und während ich schon schlimmen Aktivismus befürchtete, öffnete er das Auto und bat F., den Hund in die Box zu verfrachten. Der ließ das anstandslos mit sich machen, während ich doch ein wenig darüber staunte, dass auch der professionelle Hundeführer keine Anstalten machte, uns zu helfen.

Es wurde nun weiter telefoniert, verhandelt, ein Passant kam, der den Hundehalter kannte. Wir beschlossen, mit Habca eine Beruhigungs-Morgenrunde zu gehen. Eine Hundehalterin, mit der wir sprachen, und die die Geschichten vom „Schrottplatzhund“ kennt, erzählte uns, den könne niemand anfassen. Die Polizeiwagen standen noch lange an der Ecke.

Und die Bilanz?
– bei F.: Brandblasen an den Händen von der Leine
– bei mir: Prellung am Knie und Aufschürfungen an den Händen
– bei Habca: leider auch ein oberflächlicher Kratzer (kein Biß), den wir beim Tierarzt desinfizieren ließen
– für den unbekannten Hundehalter: wahrscheinlich kriegt er seinen Hund zurück, da nichts konkretes vorliegt. Die Anzeige vom anderen Hundehalter wird wohl wieder aufgenommen, aber ob das für eine Beschlagnahmung oder gar ein allgemeines Haltungsverbot reicht?
– für den Hund: entweder er kommt zurück in seine jetzigen Lebensumstände – oder er kommt ins Tierheim. Und da haben große 80kg-Molosser die schon mal gebissen haben, bestimmt gaaanz gute Vermittlungschancen…

 

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