In Angst, Habca, Hundeerziehung, Hundephilosophin, Hundepsychologie, Mensch-Hund-Beziehung, Philosophisches zu Hunden, Rike, Schipperke

Gestern ist das arme Rikchen beim Spaziergang an einen Stromzaun geraten. Sie schnupperte, ich sagte zu meiner Begleiterin „da scheint aber kein Strom drauf zu…“ – und dann quietschte das Rikchen ganz arg auf, und kam zu mir galloppiert, und rief „Mama, Arm!“. Und ich nahm sie auf den Arm, bemitleidete sie, tröstete sie – und nach ein paar Sekunden wollte sie wieder runter und lief fröhlich mit den anderen Hunden weiter. (Zugegeben, ich nahm sie eine Weile an die Leine, weil sie offenbar nicht vorhatte, den Zaun zu meiden).

Ich höre in meinem Berufsalltag öfter Geschichten von Hunden, die an einen Stromzaun geraten sind, oder schlimmeres erlebt haben. Oft entwickeln sie Ängste (meist nicht vor dem Zaun, sondern vor dem, worauf sie gerade konzentriert waren – Schafe zum Beispiel), oder sind sogar allgemein verstört. Da ist beim Rikchen doch einiges gut gegangen, dachte ich mir, und ich will das keineswegs alles mir zurechnen: wie gut man etwas wegstecken kann, das hat auch mit Genetik zu tun, mit frühen Erfahrungen bei Züchter und Hundemutter, und vielen anderen Faktoren.

Aber was mir beim Rikchen auffällt: Wenn irgendwas ist in ihrem kleinen Leben, hat sie Strategien, das zu bewältigen. Und ihre Lieblingsstrategie für schlimme Sachen ist definitiv „Mama Arm“. „Schlimme Sachen“ sind: sich beim Toben weh tun, zum Beispiel wenn ein größerer Hund aus Versehen auf sie draufgetreten ist – Durchzug, der ein Fenster bewegt – Gewitter. Auch wenn sie gern mit der 12jährigen Habca spielen will, aber es ist nicht klar, ob die auch will, oder vielleicht grantig reagiert, sitzt sie am liebsten auf meinem Schoß und pfötelt von da aus Richtung Habca. Aus dem „Freio“, sozusagen.

Sie springt mir in der Regel selbst auf den Arm – bis jetzt habe ich es zum Glück auch immer geschafft, sie schnell genug aufzufangen. Und sie entscheidet selbst, wann sie wieder runter will. Wenn es ganz schlimm ist – das sich geisterhaft bewegende offene Fenster! – verkriecht sie sich am liebsten in der Kuhle zwischen Hals und Schulter. So ganz passt das natürlich nicht mehr, aber egal. Oft reicht es, mal kurz einzuchecken, und schon will sie wieder runter, und alles ist wieder gut. Manchmal will sie auch aus dem Schutz des Armes in die Welt gucken, die sie kurz erschreckt hat.

Ich finde das super, ich unterstütze das, habe es von Anfang an gefördert – und keineswegs nur weil sie (körperlich) klein ist oder (altersmäßig) klein war. Ich unterstütze das Schutzsuchen bei allen mir anvertrauten Hunden, und für meine Betreuungshunde war es das erste, was sie gelernt haben: Wenn irgendwas ist, komm zu mir. Bei mir bist du in Sicherheit.

Ich mische mich aktiv in Hundekommunikation untereinander ein, und auch in das Hundeleben mit all seinen Entdeckungen, um diesen Punkt klar zu machen: Du kannst jederzeit zu mir kommen, und ich pass auf dich auf.

Ich erlebe viele Hunde, die ziemlich allein da stehen, wenn es (aus der Sicht des Hundes) drauf ankommt – oder, schlimmer noch: die ganz genau wissen, dass sie bei ihrem Menschen keine Hilfe zu erwarten haben. Sondern vielleicht negative Einwirkung, Schimpfen, wehtun, Auslachen, Ignorieren. Und was ich noch schlimmer finde: Eine ganze Reihe Hundehalter empfinden eigentlich anders, handeln aber so, weil irgendein Trainer es ihnen mal gesagt hat.

Warum das?

Fatalerweise wird oft als Argument genannt: „das gibt dem Hund Sicherheit. Dann fühlt er sich stark.“ Ja genau, ich als Mensch will dem Hund ja Sicherheit geben. Stattdessen wird dann aber empfohlen, den Hund allein zu lassen, wegzugehen, wenn er ein Problem hat. Die Fälle, in denen ein Hund ein Problemverhalten nur zeigt, weil sein Mensch ihm die Sicherheit dazu gibt, sind echt selten. Die Fälle, in denen ein Hund ein Problemverhalten zeigt, weil er sich unsicher fühlt, weil er nicht weiß und nicht gelernt hat, wie er mit vermeintlicher Bedrohung umgehen soll, sind viel häufiger. Dass das unerwünschte Verhalten durch den Halter unabsichtlich gefördert, belohnt oder auch hervorgerufen wird, ist meiner Erfahrung nach auch häufig – hat aber wiederum nichts mit Beschützen und Sicherheit geben zu tun. Ein unsicherer Hund, der weiß, dass er bei seinem Menschen in Sicherheit ist, braucht ja gar kein Problemverhalten mehr.

Oft erlebe ich Kunden, die von anderen Trainern kommen, und die Trainer haben gesagt: „der Hund ist so, weil du dem Hund keine Sicherheit gibst/ weil du nicht der Rudelführer bist“ – vom Kunden gern verstanden als „du bist schuld, änder dich (gefälligst)“ – und diese Änderung soll aber keinesfalls in freundlichem Umgang mit dem Hund bestehen! Dass man dem Hund Sicherheit geben müsste, ist tatsächlich auch oft eine Forderung von nicht gewaltfreien Trainern. „Sicherheit“ heißt dann aber was anderes: Grenzen kennen, wissen, wann Unangenehmes zu erwarten ist, Vorhersehbarkeit, starke Führung, wenig Freiraum. (Erinnert euch das hier auch gerade an den politischen Diskurs über Sicherheit, öffentliche Sicherheit, innere Sicherheit?)

„Wenn er (der Hund) mir vertraut, dann geht er mit mir am Lieblingsfeind vorbei, ohne einen Mucks zu machen, weil ich ihm Sicherheit gebe“ – wäre eine Schlussfolgerung, und Mensch muss sich irgendwie aufplustern, um diese (vermeintliche) Sicherheit hervorzuzaubern.

Ich sage dagegen: Mein Hund ist bei mir in Sicherheit, und das heißt auch: solange ich auf ihn aufpasse, muss er nicht näher an irgendwas vorbeigehen, als ihm geheuer ist, oder als er gut aushält. Vielleicht erkunden wir es zusammen, vielleicht auch nicht. Fest steht: Um die Gefahrenabwehr kümmere ich (Mensch) mich, und von mir hast du nie etwas unangenehmes zu erwarten.

Noch verquerer finde ich das Vorgehen: den Hund soweit verunsichern, dass er anfängt, an seinem Menschen zu kleben, nichts mehr allein tun kann oder mag. Sich ständig verstecken, sobald der Hund sich für irgendwas interessiert, wäre so eine – scheinbar gewaltfreie – Methode. Man versucht einen Hund zu erzeugen, der nur noch nach dem Menschen guckt und orientiert ist. Meines Erachtens (und damit bin ich nicht allein) erkennt man einen sicher gebundenen Hund aber gerade daran, dass er es sich „leisten kann“, an der Welt interessiert zu sein. Er kann sich umschauen, sich auf die Welt einlassen, auch mal weiter weg gehen. Er weiß ja, dass auf seine Bezugsperson Verlass ist. Das heißt nicht, dass er nicht auf sie achtet – er muss es bloß nicht zwanghaft tun. Er tut es, weil er Lust hat, was zusammen zu machen – nicht weil er Angst hat, sie sonst zu verlieren.

Und wenn es darauf ankommt, dann weiß ein solcher Hund, wo er Sicherheit findet und schnell auftanken kann – bevor es weitergeht.