In Aggression, Angst, Antijagdtraining/ Jagdersatztraining, Hund im Stress, Hundeleine, Hundepsychologie, Hunderassen, Hundetraining

Ich werde als Hundetrainerin und Hundepsychologin ganz oft gefragt, ob dieses oder jenes Verhalten des eigenen Hundes „normal“ sei. Ich will Euch auch gar nicht mit einer philosophischen Betrachtung zum Thema „Normalität“ langweilen – ist normal das was die Mehrheit tut? ist normal erstrebenswert? – denn es gibt ja in der Verhaltensforschung etwas was man „Normalverhalten“ nennt. In Bezug auf Hunde ist das allerdings schon wieder etwas komplizierter: das Referenzsystem für das Normale ist unklar: ist es der Wolf (wenn doch der Hund eine Art ist?), sind es Wildhunde, oder verwildert lebende Hunde? Gehört nicht der Mensch zum „Normalen“ des Hundes dazu? Wenn das so ist, dann können wir aber kaum noch von einem gemeinsamen zugrundeliegenden Normalverhalten der verschiedenen Hunderassen oder -Typen ausgehen. Bevor ich jetzt doch noch philosophisch werde ein paar Denkanstöße: „normal“ ist

  • wenn Hunde jagen gehen wollen
  • wenn Hunde sich dreckig machen, in ekligen Sachen wälzen, und anschließend begeistert an dir hochspringen wollen
  • normal ist, nicht jeden Artgenossen zu mögen
  • normal ist, manchmal oder auch oft, mit Artgenossen spielen zu wollen
  • normal ist, zu rennen, zu springen, sich dabei mal weh zu tun, Fahrräder zu vergessen, einen Hang runterzukugeln, sich eine Pfote zu vertreten, sich einen Schnupfen zu holen
  • normal ist, in Streit zu geraten, sich deswegen zu prügeln und sehr wütend zu werden, oder sich zu fürchten und zurückzuziehen
  • normal ist, dass sich im Aufwachsen die Sexualität entwickelt, mit ihren eigenen Interessen und Verhaltensweisen
  • normal ist, herrenloses Essen draußen zu retten und zu fressen
  • normal ist, als Welpe vor allem Blödsinn im Kopf zu haben, als Junghund meist unvernünftig zu sein, und möglichst lange jung bleiben zu wollen
  • normal ist, den Menschen wichtig zu finden, aber vielleicht nicht das wichtigste auf der Welt, seine Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen, aber noch selbst denken zu können
  • normal ist, interessanten Reizen zu folgen
  • es ist normal, manchmal Angst zu haben
  • es ist normal, manchmal aggressiv zu sein
  • es ist normal, manchmal gestresst zu sein, schlechte Laune zu haben, oder auch einfach „keine Lust“

Was ich damit sagen will ist: „normal“ heißt nicht „stört mich nicht“ oder „kann so bleiben“. Ich will Hunden ein möglichst schönes, möglichst gutes Leben ermöglichen, und ich will selbst ein schönes und gutes Leben haben, und ich will auch noch anderen Hunden und Menschen ein schönes und gutes Leben lassen, sie dabei so wenig wie möglich beeinträchtigen. Das sind die Kriterien die ich abwägen muss. Wenn mein Hund jetzt an der Leine geht kann er weniger Normalverhalten ausleben als ohne Leine, aber er wird nicht überfahren. Wenn mein Hund sich mit diesem anderen Hund streitet und prügelt, ist das vielleicht normal, mir aber trotzdem zu gefährlich. Wenn mein Hund heute Kaninchenköttel fressen will, soll er das tun, aber wenn er es morgen will obwohl ich es eilig habe kann er es nicht tun. Wenn ich es immer eilig habe und mein Hund immer an der Leine ist, ist sein Leben nicht mehr besonders gut und schön. Und so weiter. Diese Abwägung ist nicht immer einfach.

But noone said it would be easy. ;-)