In Hundeerziehung, Hundephilosophin, Hundeschule, Hundetraining, Philosophisches zu Hunden, Tierphilosophie, Verhaltensforschung

Was heißt

 

Ich behaupte, dass ich „wissenschaftlich fundiert“ trainiere, und auch damit bin ich nicht die einzige. Nachdem ich erklärt habe, was ich unter „gewaltfreiem Hundetraining“ verstehe, will ich auch erklären, was ich mit „wissenschaftlich fundiert“ meine – denn ich behaupte diese Dinge nicht, weil sie sich nett anhören oder gut verkaufen lassen, sondern weil sie mir wirklich wichtig sind.

„Wissenschaft“ war mir ursprünglich viel näher als Hundetraining, in meinem Studium, in meinem Job an einem Max-Planck-Institut, und später als Dozentin und Doktorandin. „Wissenschaftlich“ ist für mich eine Herangehensweise an Fragen aller Art, eine Weise, miteinander zu sprechen, sich auseinanderzusetzen, auf der Basis einiger geteilter Werte. Genau in diesem Sinne ist Hundetraining (derzeit und in Deutschland) leider sehr selten wissenschaftlich. Das irritiert mich bis heute oft, und ich vermisse die wissenschaftliche Gesprächskultur und eine geteilte wissenschaftliche Herangehensweise sehr!

Ich benutze „Wissenschaft“ nicht als eine (letztlich immer beliebige) Autorität, auf die ich mich beziehe, so wie andere „nach Rudelstellung“ oder „nach Hundeflüsterer“ oder „nach Rütter“ trainieren. Ich habe den Eindruck, viele Hundetrainer verstehen das so. Dann bewegen wir uns in einem System mit mehreren Wahrheiten, mehreren „Göttern“, und eines davon ist „die Wissenschaft“, und wenn ich sagen will, dass ich aber Recht habe, dann sage ich „amerikanische Wissenschaftler haben festgestellt“.

Dass Hundetrainer oft so denken, führt dazu, dass Hundetrainer oft ganz schlecht miteinander sprechen können. Sie beziehen sich auf völlig unterschiedliche Wahrheitssysteme. Ein einfaches Beispiel: Ein Hund zieht an der Leine. Der eine Trainer wird sagen: „Du brauchst ein häusliches Programm“. Der andere: „Du musst Halsband/ Geschirr XY kaufen“.  Der dritte „du musst Leinegehen trainieren“. Der vierte: „es ist ein Beziehungsproblem, er respektiert dich nicht.“ – Wirklich diskutieren kann man da nicht.

Also: Wissenschaft ist für mich nicht einfach der Gott, auf dessen Altar ich mein Hundetraining anpreise und von dem ich die letzte Rechtfertigung für mein Vorgehen erhoffe. Was dann?

 

1. Falsifizierbar

Wissenschaftlich ist ein Vorgehen, eine Methode, eine Behauptung für mich dann, wenn sie falsifizierbar ist. Falsifizierbar heißt: mein Gegenüber (oder die Welt) hat eine Möglichkeit, mir zu zeigen, dass sie falsch ist. Es ist nämlich leichter, etwas zu falsifizieren, als eine Wahrheit zu beweisen – das hat Karl Popper gezeigt. So kann ich zum Beispiel den Satz „Alle Schwäne sind weiß“ schwer beweisen. Ich könnte – im wissenschaftlichen Sinne –  ja nur beweisen, dass dieser Schwan hier weiß ist, und der auch, und der dritte auch, und vielleicht sogar alle auf diesem Teich, vielleicht auch alle, die ich bisher in meinem Leben gesehen habe. Aber heißt das wirklich, dass alle Schwäne weiß sein müssen? Falsifizieren lässt sich die Aussage dagegen leicht. Ich brauche nur einen einzigen schwarzen Schwan vorzuzeigen.

Falsifizierbare Aussagen sind also aussagen, von denen ich zeigen könnte, dass sie falsch sind. Dazu zählen zum Beispiel:

  • wenn ich den Stift loslasse, fällt er runter
  • wenn ich den Hund fünfmal hintereinander für Hinsetzen füttere, wird er sich, wenn ich nochmal „sitz“ sage, innerhalb von fünf Sekunden wieder hinsetzen
  • Hunde können das Magnetfeld der Erde wahrnehmen
  • der Hund kommt nicht zurück, obwohl ich gerufen habe

Hundetrainer benutzen gern nicht-falsifizierbare Aussagen, zum Beispiel

  • der Hund ist dominant
  • der Hund ist wesensschwach
  • der Hund respektiert dich (nicht)
  • der Hund zieht an der Leine, weil er dich beschützen will
  • man darf Hunde, die Angst haben, nicht trösten
  • der Hund ist beim Trailen falsch abgebogen, weil du xy gemacht hast

Wenn jemand zu mir sagt, mein Hund sei dominant, habe ich ja keinerlei Möglichkeit, zu „beweisen“, dass er dass nicht ist. Ich kann mir kein Experiment ausdenken, mit dem ich zeigen könnte, ob mein Hund mich beschützen will oder nicht. Ich kann keinen „schwarzen Schwan“ herbeitragen. Ich kann es nur glauben – oder halt nicht. Unwiderlegbarkeit ist ein Merkmal für eine unwissenschaftliche Theorie.

 

2. Begründbar

Als ich in London studiert habe, hieß es immer „for the sake of the argument“: um der Diskussion willen, um deine Thesen zu testen, um gemeinsam weiter zu kommen, mehr zu verstehen. Im Hundetraining scheint es noch oft so zu sein: Mensch hat ein Problem – Trainer sagt ihm irgendwas was er tun soll – Nachfragen nicht erwünscht. Wobei ich die „Schuld“ gar nicht einseitig bei den Trainern sehe: Hundehalter fragen auch oft viel zu wenig nach.

Warum soll es mein Problem mit Artgenossenbegegnungen lösen, wenn ich den Hund nicht mehr aufs Sofa lasse? Warum soll ich den Hund füttern, wenn er xy macht? Warum soll ich ein Blutbild erstellen lassen? Wie kommen Sie darauf, dass der Hund unausgelastet/ gestresst/ unerzogen ist? Warum soll ich erstmal xy üben, wenn doch vz mein Problem ist?

Ganz ehrlich: ja, es nervt manchmal, wenn Kunden ganz viel nachfragen, und ich etwas vielleicht zum dritten mal an diesem Tag erkläre. Aber: dafür sind Trainer doch da! Was ich viel, viel schlimmer finde, ist, wenn Kunden berichten: „der Trainer hat gesagt, ich soll xy machen, also mach ich das“, und wenn ich nachfrage, „aber warum denn, um Himmels willen?“, kommt nur „weiß ich nicht, habe ich nicht gefragt“.

Ich finde, dass die Verantwortung für den Hund, für sein Leben, sein Glück oder Unglück, immer beim Besitzer bleibt, und die Verantwortung, für das, was ihr mit eurem Hund tut oder nicht tut, erst recht. Deshalb ist es euer gutes Recht, nachzufragen, wieso ein Trainer meint, dies oder jenes sei die Ursache für ein Verhalten, und folgendes müsse man nun tun.

 

Nur weil jemand einen bestimmten Titel, eine bestimmte Ausbildung oder eine schöne Website hat, hat er nicht automatisch recht. Auch nicht, wenn auf der Website „wissenschaftlich fundiert“ steht. Als wissenschaftlich denkender Mensch weist er sich dann aus, wenn er auf eure Nachfragen etwas zu sagen hat – solange, bis es für euch klar und überzeugend ist, was hier passieren soll. Du musst nicht meiner Meinung sein, und du musst dich nicht überreden lassen. Du musst Dinge nicht tun, weil ich sie sage. Ich kann für das, was ich vertrete, argumentieren. Ich kann dir auch Literatur oder Studien dazu nennen. Und: ich lebe mit der Möglichkeit, dass ich mich irren kann – siehe oben!

 

3. Nachvollziehbar

Wissenschaftlich fundierte Behauptungen müssen „intersubjektiv“ nachvollziehbar sein. Das heißt, ich kann nicht etwas als wahr behaupten, was niemand außer mir erkennen kann. Ein plakatives Beispiel wäre die Tierkommunikation: „Dein Hund hat mir gesagt, dass er unzufrieden ist“ – ja, kann sein – kann aber auch nicht sein. Ich habe keine Möglichkeit, das für mich zu überprüfen.

Schwierigeres Beispiel: der Hundetrainer sagt „dein Hund beißt, weil er Angst hat“. Kann stimmen, kann auch nicht stimmen – ich müsste jetzt nachfragen: Warum glaubst du, dass er Angst hat? Was hast du beobachtet, was diese These stützt? Und warum glaubst du, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser Angst und dem Beißen gibt? Wissenschaft bezieht sich auf Beobachtung, weil Beobachtung intersubjektiv nachvollziehbar ist. „Ich weiß, dass der Hund Angst hat“ ist erstmal nicht intersubjektiv nachvollziehbar – „ich habe beobachtet, dass er den Körperschwerpunkt verlagert hat und die Ohren an den Kopf geklappt“ ist intersubjektiv nachvollziehbar, weil ich und jeder beliebige andere Mensch das (theoretisch) auch sehen kann. Ich habe es vielleicht nicht gesehen, darum geht es nicht: ich hätte es sehen können, ich hätte es filmen können, und du könntest es auch sehen.

In einer idealen Welt würden wir statt „intersubjektiv nachvollziehbar“ übrigens „objektiv“ sagen – aber daran glauben viele wissenschaftlich denkende Menschen nicht. (Ja, ihr solltet jetzt fragen: „Wieso nicht?“.)

 

4. Definierbar

Begriffe, die ich (nicht nur als Hundetrainer) verwende, sollte ich definieren können, und bevor ich etwas behaupte, sollte ich die verwendeten Begriffe auch tatsächlich definieren.

Einfaches Beispiel: „Mein Hund jagt“.

Mit dieser Aussage kann ich nichts anfangen, solange du mir nicht sagst, was du unter „jagt“ (hier) verstehst: der Hund ist ständig stundenlang weg? Er schnuppert manchmal am Boden? Der Hund zeigt Interesse an Mauselöchern, und du hast deshalb ein Problem mit der Leinenführigkeit? Dein Hund kommt im Wald nicht, wenn du ihn rufst, auf dem Hundeplatz aber schon?

Schwierigeres Beispiel: „Dein Hund beißt/ zieht an der Leine/ kommt nicht, weil er dich nicht ernst nimmt.“ Hier müssten wir nicht nur das fragliche Verhalten definieren (wann beißt er, wen beißt er…), sondern ich habe auch erstmal keine Ahnung, was der andere unter „jemanden ernst nehmen“ versteht. Woran erkenne ich denn, ob ein Hund einen Menschen „ernst nimmt“? Wenn nur der Hundetrainer dass erkennen kann, ist es nicht intersubjektiv nachvollziehbar. Wenn ich nicht fragen darf, ist es nicht begründbar. Wenn ich keine Chance habe, zu sagen: „aber sieh mal, er macht xy, also nimmt er mich doch ernst“, ist es nicht falsifizierbar. Und, aufgepasst!: Wenn „ernstnehmen“ heißt: nicht beißen/ an der Leine ziehen/ zurückkommen, dann ist der Satz zirkulär. Und damit leider wertlos.

 

Puh, das Thema „Wissenschaftlichkeit im Hundetraining“ ist ganz schön groß, oder? Ich habe jedenfalls noch nicht alles gesagt, was ich dazu zu sagen hätte… „stay tuned„!

hundephilosophin1708-13

 

 

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