In Assistenzhund, blog, Hund im Recht, Hundetraining

Assistenzhunde sind Hunde, die Behinderte begleiten und für sie bestimmte antrainierte Assistenzleistungen erbringen. Das Ziel ist, Nachteile, die Menschen aufgrund ihrer Behinderung haben, durch den Hund auszugleichen („Nachteilsausgleich“), und Behinderten die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Damit das funktioniert, haben Behinderte das Recht, ihren ausgebildeten Assistenzhund an Orte mitzunehmen, an denen Hunde nicht erlaubt sind.

Damit all das fair und gerecht abläuft, muss es Regeln geben: wer bildet diese Hunde wie aus? Wer darf einen solchen Hund halten? Wie wird die Qualität der Ausbildung sichergestellt, wie wird geprüft? Wer bezahlt die Ausbildung?

Bisher fehlte eine solche Regelung in Deutschland, nur Blindenführhunde wurden durch die Krankenkassen finanziert. Mittlerweile wurde mit dem Teilhabestärkungsgesetz (seit dem 1. Juli 2021 in Kraft) eine gesetzliche Grundlage geschaffen, die nun durch eine Verordnung umgesetzt werden muss.

Der Entwurf für diese Verordnung liegt jetzt vor, und kann hier heruntergeladen werden: https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/assistenzhundeverordnung.html

Ich bin über einige Punkte dieses Entwurfs besorgt.

Ich möchte hier diese Sorgen teilen, in der Reihenfolge, in der Sie im Entwurf der Verordnung vorkommen. Ich weiß, das ist ein bisschen mühsam zu lesen, und juristische Texte selbst sind noch mühsamer zu lesen. Aber: es ist wichtig, und mir fehlt der Diskurs darüber. Für mich klingt es in weiten Stecken nicht so, als wäre hier ein*e Expert*in für Hunde, die auf dem neuesten Stand positiven Trainings ist, am Werk gewesen. Und auch nicht so, als wäre eine Expert*in für all die verschiedenen Behinderten, die betroffen sind, der/ die sich mal mit Ableismus und mit Assistenzhunden und dem alltäglichen Leben all der unterschiedlichen Behinderten hat, beteiligt gewesen.

Wenn jetzt nichts passiert, wird diese Verordnung so beschlossen, und alle Assistenzhundehalter*innen, alle Assistenzhundetrainer*innen und alle Assistenzhunde werden damit leben müssen.

Deshalb habe ich mir die Arbeit gemacht, meine Sorgen hier ausführlich aufzuschreiben. Was wir dann damit machen, müssen wir alle überlegen. An wen können wir uns verwenden? Welche Vereine interessiert das, welche Kreisräte, Landräte, Bundestagsabgeordnete? Wenn du meine Sorgen teilst: Hilfst du uns, sie zu verbreiten?  Vielleicht mit deiner ganz eigenen Geschichte von dir und deinem Hund?

Meine Kritik im Einzelnen:

Abschnitt 2, §4: „Die Grunderziehung beginnt möglichst bereits im Welpenalter und beinhaltet eine Schulung des Gehorsams sowie des Sozial- und Umweltverhaltens“: der Begriff „Schulung des Gehorsams“ ist unangemessen und veraltet. Hunde sind Sozialpartner, die wir trainieren, um gut in unserer gemeinsamen Welt und mit ihren Aufgaben zurecht zu kommen. „Erziehung“ ist sachlich falsch, da es ein moralischer Begriff ist, darüber würde ich noch hinwegsehen, aber „Gehorsam“ ist unpassend und auch inhaltlich völlig unklar.

Abschnitt 3, Unterabschnitt 1, §8, Absatz 3: „Die Ausbildung beginnt frühestens, wenn der Hund zwölf Monate alt ist. […]“ Es ist unklar, was genau gemeint ist, denn oben steht ja, dass die Ausbildung als Welpe beginnen soll, also vermutlich ist das Training der Assistenzaufgaben gemeint. Die Idee, dass die Ausbildung eines Hundes mit 12 Monaten beginnt, stammt aus der Zeit, in der Hundetraining eine gewaltvolle Angelegenheit war, die man Welpen und Junghunden nicht zumuten wollte. In der Assistenzhundeausbildung ist eine solche Einteilung unsinnig: je nach geplanten Assistenzaufgaben kann man früh oder spät beginnen, das ist eine inhaltliche Entscheidung, die bei der Trainer*in verbleiben muss. Wenn der Hund beispielsweise Führaufgaben übernehmen soll, muss das beim Training der Leinenführigkeit von Anfang an beachtet werden. Apportieren kann und sollte sehr früh begonnen werden, körperlich belastende Aufgaben erst, wenn der Hund ausgewachsen ist.

„[…] Für die Ausbildung sind die Methoden anzuwenden, die dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen.“ Das ist schön, aber viel zu unklar. Es besteht unter Hundetrainer*innen keine Einigkeit über den Stand der Wissenschaft (sonst hätten wir manche Probleme nicht). Es gibt nichtmals „die Wissenschaft“, auf die wir uns hier beziehen können. Geht es um Lerntheorie? Geht es um die Wissenschaft, die beispielsweise das Vorausahnen von epileptischen Anfällen überhaupt noch nicht nachweisen kann? Geht es um die Diskussion, ob Hunde nun menschlichen Stress riechen und damit anzeigen können, oder nicht? Oder geht es um Ethik: darum, wie wir Hunde, die für uns arbeiten, ausbilden sollten, und was uns Studien darüber sagen? Und wie soll das Ganze funktionieren: sollen (Assistenz-)Hundetrainer*innen verpflichtet sein, Studien zu lesen? Ist das irgendwie überprüfbar (ich denke nicht)? Wer überhaupt ist denn „auf dem Stand der Wissenschaft“?

Unterabschnitt 2, § 12 „Eignung als Assistenzhund (Eignungsprüfung)“, 2e: Hier geht es ja in der Regel um Welpen. Welpen-Tests zur Feststellung einer Eignung sind, so der „Stand der Wissenschaft“, nicht aussagekräftig. Ich finde es nachvollziehbar, dass sie trotzdem gemacht werden und in der Verordnung drin stehen. Aber dann zumindest ohne die Testung von Eigenschaften, die Welpen noch gar nicht zeigen können, weil sie in der Individualentwicklung später dran sind: „e) keine unkontrollierbare Jagdneigung und kein aggressives Territorialverhalten zeigt“: Das kommt erst später. Ob es so etwas wie eine „unkontrollierbare Jagdneigung“ gibt, bezweifle ich: kontrollierbar mit welchen Mitteln? Um welchen Preis? Was ist eine „Neigung“? Wenn ein Assistenzhund, der in der Stadt an der Leine arbeiten soll,  im Wald nicht abgelehnt werden kann, weil er sonst Rehe jagen würde, und wir ihm das nicht Mitteln abtrainieren wollen, die ethisch nicht vertretbar sind: warum soll er kein prima Assistenzhund sein?

ebendort, Satz 3: „der Hund nach Einschätzung der Ausbildungsstätte bei Abschluss der Ausbildung den für einen Assistenzhund erforderlichen Gehorsam zeigen wird“: zum Begriff „Gehorsam“ siehe oben. Der „für einen Assistenzhund erforderliche Gehorsam“ wird nirgendwo definiert. Wieso nicht einfach: ein Hund, der nach einem erstklassigen Training die unten beschriebene Prüfung bestehen kann? Hier wird suggeriert, dass es irgendwas im „Wesen“ eines Hundes gibt, das macht, ob ein Training erfolgreich ist. Hängt das nicht vielmehr von den Fähigkeiten des/ der Trainer*in ab? Von den Haltungsbedingungen, den Halter*innen, den Erfahrungen, die er im Laufe seines Aufwachsen macht?

§ 13 Bedarf für einen Assistenzhund (Bedarfsprüfung): Es ist eine ganz große und wichtige Frage, wer denn nun einen Assistenzhund wird halten dürfen, und wer nicht. Es geht um viel Geld, um viel Verantwortung (geht es dem Hund gut bei diesem Halter/ dieser Halterin?) und es bedarf viel Übersicht: es gibt viele Maßnahmen, die einer/m Behinderten das Leben leichter machen können und Eingliederung und Teilhabe stärken können. (Stichwort „Teilhabe-Management“: Wer hat da den Überblick? Weder Hundetrainer*innen noch Assistenznehmer!) Und es fehlt Menschen, die sich einen Assistenzhund wünschen, oft an vielem: an Therapieplätzen, zum Beispiel. An Fahrdiensten, an menschlicher Unterstützung. Wer profitiert wirklich von einem Hund, der ja auch mit viel Arbeit und Verantwortung einhergeht? Mit viel angesprochen werden, mit viel Kämpfen? Wem geht es „schlecht genug“, diese Sonderrechte zu bekommen, aber nicht „zu schlecht“, um auch gut für diesen Hund zu sorgen? – Das ist eine komplexe Entscheidung. Hundetrainer*innen sind nicht dafür ausgebildet, sie zu treffen. Sie können sicher einen Beitrag leisten (was braucht ein Hund, was muss ein Mensch dafür können, usw.). Aber ist es wirklich eine gute Idee, die den Bedarf feststellen zu lassen, die anschließend daran verdienen? Die Bedarfsprüfung darf höchstens dann bei den Ausbildungsstätten liegen, wenn keine Fremdfinanzierung in Frage kommt.

§14, Absatz 1: „[…] Ziel dieser Schulung ist es, eine funktionsfähige Einheit zwischen Mensch und Hund zu schaffen.“

Den Begriff einer „funktionsfähigen Einheit“ finde ich wirklich unsinnig. Ein Mensch und ein Hund sind doch keine „Einheit“ – auch ein behinderter Mensch und sein Hund nicht.

“[…] Eine funktionsfähige Einheit liegt vor, wenn
1. Mensch und Hund das notwendige Vertrauen zueinander entwickelt haben

2. der Hund in dem Menschen seine Vertrauensperson sieht“

Das ist nicht überprüfbar und hat auch nicht Gegenstand einer Prüfung zu sein.

„[…] 4. der Mensch den Hund kontrollieren kann und dieser gegenüber dem Menschen den erforderlichen Gehorsam besitzt“

Kontrollieren: was heißt das? Eine Leine festhalten? Signale sagen können, die zuvor trainiert wurden? Und „Gehorsam“ (s.o.) ist nichts, was man „besitzt“. Auf dem „wissenschaftlichen Stand“ wäre vielleicht Signalkontrolle gemeint: der Hund führt das Verhalten aus, um das der Mensch bittet. Das ist überprüfbar.

„[…] 6. der Mensch den Hund außerhalb seiner Hilfeleistungsaufgaben mental und körperlich angemessen beschäftigen kann.“ Das kann je nach Behinderung durchaus auch eine andere (Bezugs-)Person übernehmen.

Abschnitt 4 „Prüfung“, § 18, (1) „Der Abschluss der Ausbildung erfolgt durch eine Prüfung. Der Hund muss zum Zeitpunkt der Prüfung mindestens 18 Monate alt sein.“: Mit 18 Monaten können einige Assistenzhundeleistungen noch gar nicht abgeschlossen sein. Einige Rassen sind noch gar nicht ausgewachsen. Die Entwicklung der allermeisten Hunde ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen, gerade in Bezug auf Umweltsicherheit und Sozialverhalten.Um unnötigen Druck auf Hunde und Halter*innen zu vermeiden, wäre ein höheres Mindestalter sinnvoller (24 Monate)

Abschnitt 5 Anerkennung von Assistenzhunden, § 25:  Die Frage, was mit den bisher ausgebildeten Assistenzhunden passiert, fand ich besonders spannend. Betrifft sie dich auch? Wie geht es dir damit? Ich finde es seltsam, dass diese Hunde eine Prüfung gemacht haben sollen, wenn es doch bisher gar keine anerkannte Prüfung gab. Es gab nur interne Prüfungen, Prüfungen im Ausland (z.B. beim Messerli-Institut), die man nur im  Ausnahmefall und wenn Reisen kein Problem darstellt machen konnte. Dann gab es die BHV-Team-Prüfung, die  Apportieren voraussetzte, was für viele Assistenzhunde (z.B. im psychischen Bereich) nicht relevant ist. Außerdem mussten Hunde dafür kastriert sein, und eine Kastration nur für eine Prüfung widerspricht dem Tierschutzgesetz. Meines Erachtens wird durch die Verordnung eine Rechtsunsicherheit für bereits arbeitende Assistenzhundeteams geschaffen, die für viele Behinderte, die auf ihren Hund angewiesen sind, eine erhebliche Belastung darstellt.

Anlage 4 (zu § 8 Absatz 2), Ausbildungsinhalt, 1. Schulung des Sozial- und Umweltverhaltens sowie des Gehorsams (alle Assistenzhundearten):

  • Es ist mir unklar, wieso in dieser Tabelle auf einmal die Rede von „Schulung“ und „Reaktionsschulung“ ist: Offenbar wurde überhaupt nicht darüber nachgedacht oder diskutiert, ob Hunde erzogen oder trainiert oder geschult werden, oder „Gehorsam besitzen“sollen.
  • Es erscheint mir nicht notwendig, dass alle Assistenzhunde ohne Leine arbeiten können – das ist vom Einzelfall abhängig.
  • Was „Reaktionsschulung in Bezug auf akustische, visuelle, taktile und geruchliche Reize sowie Futterreize, auch im Freilauf“ bedeuten soll, ist unklar.

2. Hilfeleistungen

Es ist im internationalen Vergleich unüblich, fünf Assistenzleistungen zu prüfen. Das ist für viele Fälle unnötig viel. Die Zahl der Assistenzleistungen sollte vom tatsächlichen Bedarf abhängen.

Ich konzentriere mich in meiner weiteren Kritik auf die Assistenzhunde für psychische Behinderungen, da ich dort am meisten arbeite. Zu den Signal-Assistenzhunden (c) will ich zumindest anmerken, dass hier nicht korrekt zwischen one-way-hearing-alert und two-way-hearing-alert unterschieden wird. Im Beschreibungstext heißt es: „Der Mensch wird nach jedem Anzeigen eines Geräusches […] zur Geräuschquelle geführt“, was keinen Sinn macht: zu Autohupen, Wecker, Rauchmelder etc. will ich nicht hingeführt werden. Das wird im Folgenden teilweise anders beschrieben, aber diese Widersprüchlichkeit zeigt ein weiteres Mal, dass hier nicht mit Fachwissen gearbeitet wurde.

Bei den Warn- und Anzeige-Assistenzhunden (d) wird als Hilfeleistung genannt: „Wenn der Mensch bewusstlos ist und Angehörige oder der Rettungsdienst eintreffen, um zu helfen, öffnet der Hund ihnen die Eingangstür und lässt sie eintreten.“ (H5). Das bedeutet, der Hund soll ohne Signal arbeiten (Mensch ist bewusstlos) und die Tür öffnen (wer vor der Tür steht, kann der Hund nicht wissen). Damit bringt er sich und seinen Menschen in Gefahr. Auch durch H10, „Der Hund räumt während eines Anfalls herumliegende Gegenstände weg, die eine Verletzungsgefahr für seinen Menschen darstellen könnten.“ bringt der Hund sich in Gefahr, denn Gegenstände, die für einen krampfenden Menschen gefährlich sind, sind auch für den Hund gefährlich. Zudem muss er dazu in den Nahbereich eines krampfenden Menschen, was gefährlich ist. Es ist nicht akzeptabel, dass der Assistenzhund sich durch Assistenzleistungen in Gefahr bringt. Gleiches gilt für b) Mobilitäts-Assistenzhund,  H13 Hilfsmittel wie Beatmungsgerät tragen oder ziehen: Wenn der Hund das Beatmungsgerät trägt, ist er darüber eng am Mensch befestigt und das ist tierschutzrelevant – vgl: http://reisnervetbehavior.com/blog/2012/03/22/should-young-children-have-their-own-service-dogs/).

Kategorie e, der „PSB-Assistenzhund“ („Hunde für Menschen mit psychosozialen Beeinträchtigungen“) ist ein sehr großer Bereich, der sehr unterschiedliche Behinderungen in einen Topf wirft: das gesamte Autismus-Spektrum, PTBS, Angststörungen, Alzheimer und andere Demenzen, weiterhin werden Schizophrenie und Bipolare Störung genannt. Aus der Zusammenfassung des gesamten Bereichs psychischer und sozialer Behinderung folgt ein unterkomplexes Verständnis der Bedürfnislage. Mögliche Hilfeleistungen werden im folgenden tabellarisch dargestellt, wobei H1 und H2 von allen Hunden geleistet werden müsse. H1 ist die Hilfeleistung „Sicherheit geben“: das ist kein überprüfbares Verhalten. In der „Beschreibung“ wird unter anderem das Verhalten „Blocken“ beschrieben, aber auch taktile Stimulation (wann? auf welches Signal?)

H2 fasst diverse „Notfallmaßnahmen“ zusammen. Hier ist oft nicht klar: was ist das Signal (zum Beispiel „Schlaflosigkeit“: soll der Hund das bemerken? Soll er dann ungefragt mit der Gewichtsdecke kommen? Die hier genannte Deep Pressure Therapy („Tiefdruck“) gehört nicht unbedingt zum Problem „Schlaflosigkeit“ sondern wird bei Angst eingesetzt. Das Apportieren einer Gewichtsdecke, die nicht selten 10kg und mehr wiegt, ist absurd. Soll der Hund „Dissoziationen, Flashbacks, Alpträume und Panikattacken“ selbständig erkennen? Wie? Ist das der „Stand der Wissenschaft“?), was ist das Verhalten (ist es zum Beispiel nötig, vorzuschreiben, dass der Hund einen Zettel überbringen muss, wenn der Mensch sich „nicht ausdrücken kann“? Sollte das nicht dem Behinderten freigestellt sein, wie er den Hund dann einsetzen möchte?).

H3, „Straßenübergänge anzeigen und für sichere Fortbewegung im Straßenverkehr sorgen“, mit der Beschreibung „Der Hund bleibt automatisch an jedem Straßenübergang stehen und lehrt so den Menschen, auch stehenzubleiben und nicht einfach über die Straße zu laufen. Der Hund bleibt sofort auf dem Fußweg stehen, wenn ein Auto aus einer Ausfahrt fährt, um den Menschen vor der Gefahr des herausfahrenden Autos zu schützen.“ Natürlich könnte man einen Hund zum Beispiel für ein autistisches Kind in dieser Hinsicht ausbilden wie einen Blindenführhund. Dann ist aber der Anspruch nicht, dass der Hund den Menschen irgendetwas „lehrt“, oder den Menschen vor Autos „schützt“. Sondern eben, dass er anhält. Und hier fällt der wesentliche Unterschied auf: ein Blinder ist ein erwachsener Mensch bei klarem Verstand, der von seinem Hund geführt werden möchte, und sich von ihm führen lässt. Ein autistisches Kind, oder auch ein dissoziierter Erwachsener, der unüberlegt auf die Straße läuft, hat nicht im Kopf, sich von seinem Hund führen zu lassen. der Hund müsste sich quasi davor werfen, das Kind würde trotzdem auf die Straße wollen. Je nach Größen- und Kräfteverhältnis ist das eine richtig gefährliche Angelegenheit. Der Assistenzhund bringt sich und seinen Menschen in Gefahr!

H7, „Kommunikation übernehmen“: siehe oben. Kommunikation „übernehmen“ kann ein Hund nicht, er kann unterstützen. Wie er das tut, sollte der/ dem Assistenznehmer*in überlassen sein.

H12, „Suche eines Kindes“: Es gibt keine Notwendigkeit, das auf Kinder zu begrenzen, Weglauftenenzen gibt es bei Autismus und bei Alzheimer-Erkrankten jeden Alters. Die Suche sollte nicht „im Nahbereich“ stattfinden, sondern da, wo der Gesuchte ist,  als Suchtechnik wird also sinnigerweise „Mantrailing“ angewendet. Das ist international üblich und kann so benannt werden.

3. Theoretische Ausbildung: ist zu ungenau, insbesondere der Punkt „die Grundlagen der Kommunikation von und mit Assistenzhunden, Lerntheorie und Erziehung“: Ist mit Kommunikation innerartliche Kommunikation gemeint? Wie „kommuniziert“ man denn mit einem Assistenzhund, im Vergleich zu einem anderen Hund? Was kommuniziert man? Ist es eine Andeutung der berühmten „körpersprachlichen“ Kommunikation, die in der Regel mit (körperlichem) Bedrängen arbeitet und nicht gewaltfrei ist? Was soll Inhalt von „Erziehung“ sein? Erziehung ist die Einführung eines Angehörigen der eigenen Art in die Moral einer Gruppe. Das macht in Bezug auf Hunde keinen Sinn. Lerntheorie ist ein großer Begriff: Was müssen Assistenznehmer*innen wissen? Ist der Inhalt derselbe oder ein anderer als bei den geplanten „Hundeführerscheinen“?

Was mir unter diesem Punkt komplett fehlt, ist das mentale, psychische Wohlergehen des Hundes. „Artgerechte Haltung“ reicht als Schlagwort nicht. Wenn wir Hunde einsetzen, um für Menschen zu arbeiten, müssen wir dafür sorgen, dass es ihnen gut geht. Viele Assistenzhundehalter*innen machen sich hierüber sehr viel mehr Gedanken als gesunde Hundehalter*innen! Dürfen wir Anzeige-Hunde wirklich Tag und Nacht arbeiten lassen? Wie viel Arbeit ist in Ordnung für einen Hund? Wie viel Druck und Zwang ist erlaubt, um den Hund auszubilden und sein Leben lang arbeiten zu lassen? Wieso tauchen nirgendwo in der Verordnung Rechte des Hundes auf, wieso nicht das Stichwort „Gewaltlosigkeit“? Gerade Assistenzhunde werden meinem Eindruck nach noch oft mit Bedrängen, Einschüchterung, mit völlig unsinnigen Methoden oder ganz ohne Methode, mit Ideen von „Raumdenken“, „Dominanz“ und Co., ausgebildet. Ich hätte mir gewünscht, dass die Verordnung hier Sicherheit für zukünftige Assistenzhundehalter*innen schafft, sich auf eine gewaltlose Ausbildung auf Basis der positiven Verstärkung verlassen zu können. Gerade in der so genanten Fremdausbildung, also dass ein*e Fremde*r den Hund ausbildet, bleibt mit dieser Verordnung im Dunkeln, wie der Hund behandelt wird.

Anlage 6 zu § 19: Prüfung. „Der Hund darf nach einer Prüfungsaufgabe angemessen belohnt werden. Hilfsmittel wie Clicker, Pfeife oder Spielzeuge sind grundsätzlich erlaubt, sie werden dem Fachprüfer vor der Prüfung angezeigt und dürfen situativ aber nicht dauerhaft benutzt werden.“ Dieser Satz zeigt ein fehlendes Verständnis von „Hilfsmitteln“ und „Belohnung“ (gemeint ist vermutlich Futter). „Situativ aber nicht dauerhaft“: ich darf nicht eine einstündige Prüfung lang dauerklicken? Oder darf ich nicht nach jedem abgefragten Verhalten klicken? Wieso nicht? Darf ich denn „fein“ sagen? Der Clicker tut nichts anderes. Ich darf nicht die gesamte Prüfung lang pfeifen – oder ich darf nicht für jeden verlangten Rückruf pfeifen? Wieso nicht? Für manche Behinderte ist es vielleicht leichter, zu klicken oder zu pfeifen, als zu sprechen oder zu rufen. Für viele Hunde ist es klarer, und es spricht überhaupt nichts dagegen. „Spielzeug“ als „Hilfsmittel“ ist mir unklar, Gemeint ist vermutlich: es darf nicht durchgängig gelockt werden – weder mit Futter noch mit Spielzeug. Das macht durchaus Sinn. Verstärken macht auch Sinn – und zwar gern jedes Verhalten.

2. Prüfungsinhalt, a) Prüfungsaufgaben zum Sozial- und Umweltverhalten, aa) in Bezug auf Kinder: „ruhig, ausgeglichen, sozial sicher und freundlich; er ist jederzeit kontrollierbar.“ ist eine schwammige Beschreibung. Heißt „ruhig“ ohne Geräusche? Woran kann ich sehen, ob ein Hund sich gerade „sozial sicher“ fühlt? Ein Hund muss nicht „freundlich“ zu Kindern sein, sondern neutral. In Bezug auf diverse Erwachsene im weiteren Verlauf der Prüfung wird auch nicht „Freundlichkeit“ erwartet. „Kontrollierbar“: s.o.: mit genügend Kraft und Aggressivität ist (fast) jeder Hund „kontrollierbar“. Das ist nicht das, was wir wollen! „[…]Er bleibt in niedriger Erregungslage und zeigt sich wenig gestresst, er orientiert sich an dem Prüfungskandidaten oder der Prüfungskandidatin.“ und zeigt keine Aggressivität: reicht doch.

ff) in Bezug auf fremde Hunde, Satz 2: „Der Hund ignoriert dabei die anderen Hunde oder zeigt freundliches Interesse.“ … oder neutrales Interesse. Oder „angemessenes Sozialverhalten“: was nämlich, wenn der Assistenzhund angebellt, angeknurrt, angegriffen wird? Assistenzhunde sollten, wie alle Hunde, das volle Spektrum hundlichen Sozialverhaltens zeigen dürfen – so lange sie dabei niemanden gefährden oder belästigen, solange sie der Situation angemessen reagieren. Es ist nicht artgerecht, im Kontakt mit fremden Hunden immer nur „freundlich“ zu sein oder zu ignorieren.

hh), ii), jj), ll), mm), tt) und viele weitere Stellen: der Hund ist immer „ruhig, sicher, gelassen“: das ist kein überprüfbares Kriterium. Körpersprachliche Stressanzeichen könnten gemeint sein. Ob ein Hund in einer bestimmten Situation „gelassen“ ist oder nicht, darüber kann und wird es zu vielen Auseinandersetzungen kommen, denn sehen können wir das alle nicht.

jj):  in einer Gaststätte: Erstens ist der Besuch einer Gaststätte nicht für jeden Assistenzhund notwendig,. Zweitens ist „Der Hund ignoriert das Essen auf dem Tisch oder bettelt nicht.“ keine überprüfbare Beschreibung eines Verhaltens. Diverse PSB-Hunde sollten in der Gaststätte auf ihren Menschen achten. Wenn sie sitzen und schauen sollten wir nicht diskutieren, ob sie das Essen anschauen.

kk) auf verschiedenen Oberflächen: Ja, sollte ein Assistenzhund können, aber es gibt keine Notwendigkeit, vorzuschreiben, in welcher Körperhaltung genau, oder dass es „ohne zu zögern“ sein muss. Das mag für Blindenführhunde Sinn machen, für Signalhunde, PTBS-Hunde, Diabeteswarnhunde usw. ist es doch überhaupt kein Problem, wenn der Hund sich eine rutschige Oberfläche erstmal genauer anschaut, zögert, und dann vorsichtig drüber geht.

ll) Aufzüge nutzen: darf nicht vorgeschrieben sein, oder es muss möglich sein, dass der Hund Teile der Prüfung mit einer anderen Person ablegt: Nicht alle Assistenznehmer*innen können (mit Prüfer*innen!) Aufzug fahren (PTBS!)

ss) Verhalten des Hundes bei Futterreizen: es ist nicht nötig, dies „in Freifolge“, also ohne Leine zu prüfen. Es ist nicht nötig, dass jeder Assistenzhund in jeder Situation ohne Leine laufen kann (s.o.)

tt) Benutzung von Türen: „Der Hund […] schnuppert nicht.“: Ein Verbot zu schnuppern ist nicht artgerecht. Gemeint ist vermutlich, dass der Hund anständig an der Leine geht. Das ist ein sinnvolles, zu überprüfendes Kriterium. Was dabei seine Atemwege machen ist unerheblich.

b) Gehorsam: das Wort ist unpassend

bb) Fallende Leine: „Der Prüfungskandidat oder die Prüfungskandidatin geht mit dem angeleinten Hund. Gemäß der Absprache mit dem Fachprüfer lässt der Prüfungskandidat oder die Prüfungskandidatin die Leine fallen. Nach Belieben bleibt der Prüfungskandidat oder die Prüfungskandidatin stehen oder geht weiter. Der Hund orientiert sich bei seinem Verhalten an dem Prüfungskandidaten oder der Prüfungskandidatin und ist jederzeit kontrollierbar.“: diese Übung ist nicht für alle Assistenzhundeteams sinnvoll und sollte daher nicht von allen verlangt werden.

cc) Freifolge: s.o., ist nicht für alle Teams notwendig oder sinnvoll. Wenn das miteinander gehen ohne Leine überprüft wird, sollte das nach überprüfbaren Kriterien erfolgen, und nicht mit so blumigen Beschreibungen wie „bewegen sich im Einklang“.

dd) Freilauf und Rückruf: s.o.

c) Hilfeleistungen: „Bei Hilfeleistungen, die Erkrankungen wie etwa Diabetes mellitus, Epilepsie oder andere Erkrankungen anzeigen sollen, die nicht simuliert werden können oder die anlässlich solcher Erkrankungen erbracht werden sollen, genügt die schriftliche Versicherung des Prüfungskandidaten oder der Prüfungskandidatin, dass der Hund die Hilfeleistung in dem Zeitraum der letzten drei Monate vor der Prüfung zuverlässig erbracht hat. Auch bei der Prüfung anderer Hilfeleistungen ist stets auf die Belange des Prüfungskandidaten oder der Prüfungskandidatin in besonderer Weise Rücksicht zu nehmen, insbesondere ist eine gesundheitliche Gefährdung des Prüfungskandidaten oder der Prüfungskandidatin oder eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte auszuschließen.“ Bei der Überprüfung der Hilfeleistungen muss einerseits Gerechtigkeit herrschen (wenn manche sie zeigen müssen und andere nicht, ist schwierig), andererseits muss eine mögliche Demonstration zumutbar sein. Die Bestimmungen sind mir hier zu unklar. Die Hunde, die ich ausbilde, reagieren zum Beispiel auf Stress, Selbstverletzung, Panikattacken, etc.: oft wird trainiert und geprüft, indem das vorgespielt wird. Das halte ich weder für zumutbar noch für realistisch und damit trainerisch sinnvoll. Eine „schriftliche Versicherung des Prüfungskandidaten“ allerdings ist doch wenig glaubwürdig. Auch hier wäre ein internationaler Vergleich wünschenswert gewesen. Viele Länder prüfen die speziellen Assistenzleistungen tatsächlich gar nicht. Oder sie werden durch Videos nachgewiesen. In dieser schwierigen Frage brauchen wir mehr Klarheit durch die Verordnung! Es ist nämlich tatsächlich ein anderes Training, ob ich den Hund auf eine gespielte Panikattacke ausbilde, oder den Umgang mit einer echten, oder dahingehend, dass seine Besitzerin irgendetwas unterschreibt.

d) Theoretischer Prüfungsteil ist nicht identisch mit oben. 15 Minuten für ein Prüfungsgespräch ist sehr wenig.

3. Bewertung der Prüfungsaufgaben: die Kriterien sind viel zu wenig objektiv nachvollziehbar. „Das Ausdrucksverhalten des Hundes ist leicht meidend, leicht ängstlich, leicht imponierend, oder er befindet sich mittlere Erregungslage“ oder auch „es ist ein permanentes Eingehen auf den Hund nötig“ ist nicht eindeutig.

 

Weitere Kritikpunkte:

  • Aus meiner Sicht bleibt offen, wer die Finanzierung eines Assistenzhundes übernehmen kann und wird. Im Rahmen des Diskriminierungsverbotes hatte ich eine Gleichstellung von Assistenzhunden aller Art mit Blindenführhunden erwartet. Das hätte Auswirkungen auf die Finanzierung. Ist diese Gleichstellung hier nun erfolgt (durch eine gemeinsame Verordnung)? Das bleibt wohl abzuwarten. Die Sache ist: solange jede*r seinen/ ihren Hund eh selbst bezahlt, ist das gesellschaftliche Interesse darauf beschränkt, überspitzt gesagt, dass Assistenzhunde nicht in den Supermarkt pinkeln und beim Konzert nicht bellen. Wo Geld fließt, ist mehr Interesse, dass diese Hunde auch wirklich etwas leisten können.
  • Damit verbunden ist die Frage: was ist mit den Ausbildungen, die nicht zum gewünschten Erfolg führen? Die Ausbildung eines Tieres kann naturgemäß nicht mit Erfolgsgarantie erfolgen. Wenn Ausbildungsinstitute testen Solen, ob ein Welpe erfolgsvorsprechend ist, und wenn Menschen weiterhin privat viel Geld in die Ausbildung eines Hundes stecken (60 Trainerstunden sind mindestens vorgeschrieben, was ja nichtmal viel ist, aber der Einfachheit halber mit 100€ pro Stunde gerechnet immerhin 6000€, die möglicherweise einfach weg sind, plus Anschaffungskosten, Tierarzt, Futter usw.), was ist dann, wenn der Hund am Ende nicht einsetzbar ist? Sei es, weil er sich anders entwickelt als gehofft, sei es, weil er einen Unfall hatte, sei es, weil Fehler in der Ausbildung gemacht wurden? Wer haftet? Wer zahlt?
  • Die Frage der Zutrittsrechte wurde nicht weiter geklärt (z.B. private Veranstalter vs öffentliche Veranstalter)
  • die Nachbetreuung eines ausgebildeten Teams wird nicht ausreichend geklärt
  • Der Begriff einer „Mensch-Hunde-Gemeinschaft“, weil man um jeden Preis das englische „Team“ vermeiden will, das sich in diesem Bereich durchgesetzt hat, ist unnötig umständlich und alltagsfern.
  • der Entwurf ist nicht durchgängig gegendert

 

Quellen und weiterführende Links

https://www.bmas.de/DE/Soziales/Teilhabe-und-Inklusion/Politik-fuer-Menschen-mit-Behinderungen/Fragen-und-Antworten-Assistenzhunde/faq-assistenzhunde.html

https://www.dbsv.org/stellungnahme/ahundv-2022.html

Stellungnahme der TVT zur Assistenzhundeverordnung

teilweise veraltet/ überholt: https://lichtblicke-verein.de/das-teilhabestaerkungsgesetz-und-die-assistenzhunde

 

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