In Mensch-Hund-Beziehung, Philosophisches zu Hunden, Tierphilosophie

Ein gutes deutsches Wort fällt mir dafür gerade nicht ein. Aber die Idee ist eigentlich einfach: Menschliche Säuglinge können nicht nur sehr früh (von Geburt an?) menschliche Gesichter erkennen und auf sie reagieren, und (früher oder später) die Welt anschauen und mit ihr interagieren, sie können noch etwas anderes, das von grundlegender Bedeutung für alle spätere Entwicklung ist: Sie können mit ihrer Mutter, ihrem Vater oder einer anderen engagierten Person in Beziehung über ein Objekt sein: Das Baby guckt das Spielzeug an, guckt die Mutter an, guckt das Spielzeug an. Irgendwann geht es in solchen Situationen nicht mehr nur darum, das Spielzeug haben zu wollen (protoimperativ), sondern es ist, als würde das Baby sagen: Siehst Du das auch? Guckst Du dasselbe an wie ich? – Und die Freude liegt gerade im gemeinsamen Anschauen. In Videoanalysen sieht man dass das Lächeln des Babys genau dann noch einen Moment breiter wird, wenn sich die Blicke von Erwachsenen und Baby treffen (ginge es nur um das Spielzeug, so würde man erwarten dass es mehr lächelt indem Moment in dem es das Spielzeug anschaut.) Diesen Blickwechsel (der meist nur ein ganz kurzes Hin- und wieder Weggucken ist) nennt man Social Referencing, gemeinsames auf die Welt referieren.

Es gibt einen interessanten Test hierzu, den Visual Cliff Test: Das Baby robbt oder krabbelt auf einem Tisch (abgesichert, na klar) auf die Mutter zu. In diesem Tisch ist jedoch eine durch Muster deutlich gekennzeichnete Klippe, eine Lücke die steil abfällt. Diese ist mit einer Glasplatte abgedeckt. Wenn das Baby sich das näher anschaut, erhält es widersprüchliche Information: Es sieht ziemlich gefährlich aus, fühlt sich aber fest und sicher an. Was tun, wenn man zur Mama krabbeln will?

Sich typisch entwickelnde Kinder schauen ihrer Mutter ins Gesicht. Die Mutter ist instruiert worden, einmal aufmunternd-unbesorgt und einmal besorgt-ängstlich zu schauen. Wenn die Babys neun oder zehn Monate alt sind, können sie diesen Blick verstehen und verhalten sich entsprechend (krabbeln auf die Mutter zu oder bewegen sich von der visuellen Klippe weg).

Und warum erzähle ich Euch das?

Nicht nur, weil ich Diskussionen gestern und heute sehr spannend fand und immer gerne Entwicklungspsychologen zuhöre (für die, die es näher interessiert: Peter Hobson z.B. ist hier).

Sondern auch, weil ich glaube, dass Hunde sehr viel Social Inferencing betreiben (können), und dass das für uns eine große Chance ist.

Und gleichzeitig ist es nochmal eine Erinnerung daran, dass wir mit unseren Hunden an anderen Dingen arbeiten müssen als bloßem Gehorsam. Man kann einem Hund zwar beibringen, seinen Menschen anzugucken (einfach so oder auf bestimmte Signale hin), man kann ihm aber nicht als Gehorsamsübung beibringen, in Situationen, in denen er selbst sozial unsicher ist, ratsuchend zu seinem Menschen zu schauen.

Ich habe Habca als Welpe beigebracht, dass ich es toll finde, wenn sie mich anschaut. Ich habe auch mit ihr trainiert, mich anschauen zu können obwohl ich Wurst in der Hand halte (= den Impuls, die Wurst sofort zu nehmen, hemmen zu können, sich selbst kontrollieren und konzentrieren zu können).

Aber dass sie mich anschaut, wenn ein großer böser Schäferhund auf uns zukommt, das hat ja ganz andere Voraussetzungen. Nocheinmal: Ich meine nicht, dass ich „Schau“ oder wasauchimmer rufe, um sie abzulenken, sie zu kontrollieren. Sondern dass sie den Schäferhund vielleicht sogar zuerst sieht, und ganz kurz zu mir zurückschaut: Hast Du den auch gesehen? was machen wir jetzt? ist die Situation noch sicher? soll ich Dich verteidigen? wie gehen wir vor?

Dazu gehört: Dass sie sich dafür interessiert, wie ich Situationen einschätze. Vielen Hunden ist das egal, und das mit gutem Grund. Dass sie mir zutraut, manchmal gute Ideen zu haben, wie man mit schwierigen Situationen umgeht. Dass sie die Erfahrung gemacht hat, dass es sicher ist, sich auf mich zu verlassen. dass es ihr etwas bedeutet, wie ich emotional mit der Situation umgehe, und sie sich daran orientieren kann.

Dazu gehört nicht: Dass sie Angst hat, Ärger zu kriegen. Der sorgenvolle Blick von Hunden mit schlechte Erfahrungen („Oh, ein Schäferhund, immer wenn wir die sehen schreit Frauchen später rum, besser ich verjag ihn gleich“) kann dem Blick des „Social Referencing“ gleichen.

Social Referencing heisst auch nicht: „Frauchen, sag, was machen wir, ich folge“. Nö, oft genug rennt sie dann trotzdem hin und mach Terror oder verhält sich sonst in einer Weise, die ich blöd finde.

Social Referencing heisst (meiner Meinung nach): „Wir sind gemeinsam hier in dieser Situation, und es interessiert mich, was Du dazu sagst.“ Und wenn mein Hund das zu mir sagt, finde ich das ziemlich großartig. Achtet mal darauf, und denkt daran, dass diese Blicke sehr, sehr kurz sein können.

Und was ist jetzt der Unterschied zwischen z.B. Counterconditioning, d.h. einem behavioralistischem Programm mit dessen Hilfe ich den Reiz „großer böser Schäferhund kommt auf uns zu“ mit „Bleib stehen, schau mich an, komm Dir einen Keks abholen“ verbinde (auch eine prima Sache, keine Frage), und Arbeit an der Beziehung zwischen Mensch und Hund, deren Ergebnisse an Anzeichen wie Social Referencing abzulesen sind? Der Unterschied liegt darin, für was wir Hunde halten, was wir ihnen an kognitiver Leistung zutrauen, wie wir sie konzeptualisieren. Aber meint ihr nicht, der Post ist schon lang genug? ;-)

Showing 9 comments
  • Emils Frauchen

    Gestern traf mich der flehende Emil Blick: „Bist du sicher, dass wir bei 31 Grad im Schatten vor die Tür müssen?“
    Wir waren uns schnell einig. ;-)
    LG BB

  • Banjo's Frauchen

    Silvie? Setz mal Kaffee auf, bitte…
    Puuh…

    Ich hab bei Banjo und auch bei Batzi mal folgendes ausprobiert: Wir standen uns gegenüber. Ich wollte, dass sie das Futter im Napf fressen. Hab ich auf den Napf gezeigt und meinen Blick immer von ihren Augen zum Napf wechseln lassen. Immer wieder Hundeaugen-Napf-Hundeaugen-Napf. Nach einer Weile gingen sie zum Napf und haben zumindest geguckt was drin ist. Batzi hat es dann gefressen. Banjo sagte „Nöö Frauchen, mag ich nicht.“ Aber sie sind zum Napf gegangen. Ich fand das faszinierend. :) Gehört das auch zu dem, was du meinst?

  • Hoshi

    Das nennt man auf deutsch Bindung und Vertrauen :-)

    Wüffchen
    Hoshi

  • Banjo's Frauchen

    Auf einem Kongress über so was darf man aber nicht Deutsch reden…. *kicher*

    Da sprechen 1. alle auswärts und 2. werden da verbale Plüschis in die Runde geschmissen und 3. wer die dann am kleinsten zerreißt und für jede Faser noch einen lateinischen Namen findet, der noch annähernd Sinn macht – ja, der ist halt 4. der Drüberpinkler. :))

  • Bijou

    Tja, wir Hunde können das – und noch viel mehr. Wir können Dinge, da träumen sogar die Schimpansen davon. Z.B. auf Augenbewegungen oder kleine, kurze Bewegungen von Gliedmassen oder kurze Laute reagieren. Wir können sogar… später mehr.
    Naja, dass mit der Verhaltensforschung an Babys kann man sich sparen – da wir nur die Begrenztheit der Menschen offenbart. An eigenen Kindern lernt man sich selber am Besten kennen.
    Liebe und Vertrauen könnte man auch sagen.
    Viele Briardgrüße von Bijou

  • Habca & Miriam

    Silvie, wir brauchen definitiv mehr Kaffee hier!

    Liebes Emilfrauchen,
    solltest Du etwa einen dieser praktischen Hunde haben die bei Regen und Hitze nicht rausmüssen, und im Winter sowieso nicht? ;-) In Berlin gabs davon viele!

    Liebes Banjofrauchen-Tomfreundin,
    wieviel Kaffee hattest Du zwischen dem ersten und dem zweiten Kaffee? ;-) Auf-etwas-zeigen und Mit-Blicken-auf-etwas-Referenzieren sind zwei verschiedene Sachen, und dann gibt es auch noch verschiedene Formen von auf etwas zeigen. es ist aber nicht Social Referencing – sorry. Trotzdem ein interessantes Experiment!

    Hoshi & Bijou: „Liebe“, „Vetrauen“ etc – das sind ziemlich schwierige Worte, nicht nur für junge Hunde wie Euch. ;-) Es besteht sicher ein Zusammenhang zwischen Social Referencing und Vertrauen. Aber dasselbe ist es nicht. Da Konzepte wie „Vertrauen“ so groß sind und verschiedene Leute verschiedenes darunter verstehen, finde ich es gut, mit kleineren konkreten Phänomenen anzufangen. Ob man Vertrauen z.B. überhaupt sehen kann, ist umstritten. Social Referencing kann man sehen. Will man über Vertrauen sprechen, ist man in der Emotionstheorie, die auch sehr spannend ist, aber auch eine Menge Probleme hat. Deshalb geht es hier im Blog im Moment mehr um kleine Details, die vielleicht, wenn man ganz viele davon zusammen nimmt, etwas ergeben was ihr „Vertrauen“ nennen wollt.

    @Bijou: Schimpansen und Babys sind schon sehr interessant. Finde ich. Psychologische Studien mit Hunden sind ja recht neu, aber groß im Kommen. Gerade gab es den ersten großen internationalen Kongress. Hunde, Menschenbabys und Menschenaffen repräsentieren sozusagen drei verschiedene Erklärungsansätze für die Phänomene, die wir sehen.

    Grüße aus San Marino an alle,
    Miriam

  • Habca & Miriam

    „Wieviel Kaffee lag zwischen dem ersten und zweiten Kaffee?“ ist zwar eine hochphilosophische Frage, gemeint war aber: „zwischen dem ersten und zweiten Kommentar“. :-))

    Voller italienischem Espresso,
    Miriam

  • Banjo's Frauchen

    Keinen Kaffe zwischen dem ersten und zweiten. Silvie hat ja noch nix gekocht. Die kriegt wahrscheinlich den Indi wieder nich wach.

    Ich hätte zwar ein Likörchen trinken können, hab ich aber nicht gemacht.

    Insiderinfo: Ich warte gerade auf meine Explosion….. *totlach*

  • bjonda

    Bin begeister von dem tollen Outfit deines Blogs.
    Bjondafrauchen
    Anni

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