In Angst, Antijagdtraining/ Jagdersatztraining, Balou, Habca, Hund und Kind, Hundeleine, Mehrhundehaltung, Mensch-Hund-Beziehung, Reaktivität, Rike

Ich treffe oft einen klitzekleinen schwarzen Hund, der immer ohne Leine unterwegs ist. Er läuft seinen Menschen einfach hinterher. Manchmal fuchst mich das total. Dann denke ich: „Ich bin hier die Hundetrainerin, und meine Hunde können nur selten ohne Leine laufen, da stimmt doch was nicht! Wie machen die das?“

Auch der Mann mit dem Labbimix geht immer ohne Leine. Bietet uns manchmal die Untersichausmachen-Nummer an, was wir dankend ablehnen. Einmal keifte uns der Hund an. Als ich dann sah, was der Mann mit dem Hund machte, verstand ich, warum der Hund immer so brav bei ihm lief.

Letztes Frühjahr hörte man in unserem idyllischen Dorf ständig schussähnliche Geräusche, ich nehme an, Selbstschussanlagen in den Weinbergen. Habca war gerade gestorben, und Rike hatte plötzlich schlimme Angst vor diesen Schüssen. In ihrer Angst lief sie nur an meinem Bein. Kein Schnuppern, kein Bummeln, kein Vorauslaufen. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: jetzt lief sie wir das klitzekleine schwarze Hündchen! Jetzt brauchte sie keine Leine, die Angst hielt sie nah bei mir!

Verstehen wir uns nicht falsch: ich finde ohne Leine laufen total cool. Es war mir so wichtig, mit der jungen Habca ohne Leine durch Berlin zu laufen!

Und: die Hunde, die ich jetzt habe, können in dem Leben, das ich jetzt gerade führe, nur selten ohne Leine laufen. Balou geht noch viel zu weit weg, und möchte auch ganz gern jagen. Rike hat im Moment Probleme mit plötzlich auftauchenden Menschen (und die Walkerin, die sie mit ihren Walkingstöcken gepiekst hat, hat nicht wirklich geholfen.) Und ich habe meistens ein Kleinkind dabei, das heißt, ich betreibe permanent Aufmerksamkeitsteilung. Die Hunde sind jung, energiereich, schnell. Also haben sie Schleppleinen dran.

Heißt das, ich kann nicht trainieren, dass sie bei mir bleiben? Dass sie nichts „tun“? Dass sie sich von Walkingstöcken und Rehen fern halten und dabei auch zuverlässig die Klappe halten?

Dieser Gedanke hat mir tatsächlich zu schaffen gemacht. Es ist mir schließlich wichtig, eine sehr gute Trainerin zu sein, und Verhalten aller Art trainieren zu können.

Es ist so: Wenn ich ihnen sage, sie sollen neben mir her gehen, tun sie das. Wenn sie mir für sie schwierige Umwelt-Stimuli mitteilen können (hin- und hergucken) und ich sie in ihrem Alternativverhalten unterstütze oder ihnen sage, dass das kein Problem für uns ist, gehen sie weiter. Wenn ich sie bitte, zu sitzen, sitzen sie, und warten, was ich als nächstes sage. Balou liebt unser Spiel, mir Wildwechsel anzuzeigen. Und sein Rückruf ist richtig gut geworden. Wenn ich mit Rike allein bin, und mich auf sie konzentriere, läuft sie frei.

Und: ich habe mich von dem Gedanken verabschiedet, dass ein Hund ständig ohne Leine laufen können muss. Weil ich beobachte, dass der Preis zu hoch ist. Ich beobachte eine hohe Korrelation von Hunden ohne Leine und Hunden, die hart angegangen werden, wenn sie etwas „falsch“ machen. Ich schaue mir auf YouTube Hundetrainer an, die mit ihrem unangeleinten Hund durch die Großstadt laufen, und alles, was ich sehe, ist ein gestresster, verängstigter, unterdrückter Hund, und ein Mann, der sich selbst dabei ziemlich gut findet.

Mit der (Schlepp-)Leine können meine Hunde rummachen, ohne dass ich sie mit Argusaugen überwache. Ich muss mir keine Gedanken darüber machen, etwas Ungünstiges zu verstärken. Ich muss den Rückruf nicht einsetzen, wenn der Hund gerade was Blödes macht. Ich muss sie nicht ständig stoppen, „korrigieren“, irgendwo hin schicken. Sie haben ihren Radius, sie ziehen nicht, sie haben einfach frei. Sie müssen jetzt nicht groß auf mich achten, wir halten uns ja an der Hand.

Wenn wir was miteinander machen, sind meine Hunde angeknipst und brauchen keine Leine. Mit einem Hund wie Balou wäre es ja einfach: hätte ich einen Ball in der Hand, würde er nirgendwo hingehen. Oder: Wenn er weggeht, kommt er auch wieder (hat halt wieder was Blödes gelernt, sich für was verstärkt, was ich nicht will). Die arbeitsnahe Hütehundfraktion kann man ja auch ganz gut ein paar Mal so anschnauzen, dass sie danach nix mehr machen.

Aber will ich einen Hund, der sich nicht traut, von mir wegzugehen? Will ich einen Hund, der nur Ballballball im Kopf hat, und nicht in Ruhe schnuppern gehen kann? Will ich meinen Hund zusammenfalten, nur um mir das tolle Gefühl zu geben, dass meine Hunde ohne Leine irgendwo lang laufen können?

Ich hatte vierzehn Jahre einen Hund, der freiwillig keine anderthalb Meter von meiner Seite gewichen ist. Ich bin dafür oft bewundert worden, und ja: das hat sich gut angefühlt. Habcas Welt war nur in Ordnung, wenn sie ganz nah bei mir war. Will ich das wirklich für meine Hunde jetzt?

Was ich sagen will: die „mentale Leine“ kann einen Hund mehr einengen als eine Biothane-Leine. Es kann sein, dass ein braver Hund einfach nur Angst hat. Eine Leine kann einem Hund nicht nur Freiheit nehmen, sondern auch Freiheit geben.