In Hunde-Bücher/ Hundezeitschriften, Hundepsychologie, Mehrhundehaltung, Mensch-Hund-Beziehung, Philosophisches zu Hunden, Tibetterrier, Tierarzt, Tierphilosophie, Tierpsychologie, Tod des Hundes, Verhaltensforschung

Liebe LeserInnen, ersteinmal möchte ich mich an dieser Stelle bedanken für Eure Zuschriften, Eure Nachfragen, Euer Mitgefühl. Immer wieder hört man, die Trauer um ein Haustier sei in unserer Gesellschaft tabuisiert – ich erlebe das nicht so, ich erlebe Unterstützung und Zuspruch -von Freunden, aber auch von Menschen, die ich gar nicht kenne, die vielleicht ähnliches erlebt haben, und sich wiederfinden. Mir hilft das, und ich bin froh, meine Gefühle mit Euch allen teilen zu können!

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an Nomis vorletzten Tag – ihr Bauch ist ganz dick von Tumor und Blutungen

Einige haben mich gefragt: Wie geht es denn Habca jetzt? Trauert sie? Vermisst sie Nomi?

Ich finde das gar nicht so leicht zu beantworten. Nicht, weil ich nicht glauben würde, dass sie trauern kann. Aber rufen wir uns ruhig in Erinnerung, dass es noch gar nicht lange her ist, dass man Tieren Gefühle abgesprochen hat. Ich glaube, nein: ich bin überzeugt davon, dass zumindest nicht-menschliche Säugetiere, wahrscheinlich aber sehr viel mehr Tiere, Gefühle haben. 

Marc Bekoff hat (unter anderem) ein bestechend einfaches Argument hierfür: Tiere sind uns so ähnlich, z.B. auch im Aufbau des Nervensystems, dass es sehr unwahrscheinlich ist, anzunehmen, sie hätten keine Gefühle.

Denoch gehöre ich zu den Hundetrainern/ -psychologen, die sehr zurückhaltend mit der Zuschreibung von Gefühlen auf Hunde umgehen. Ich bemühe mich, zuerst das Verhalten eines Tieres anzuschauen, und die Wechselwirkung von Verhalten und Umwelt. Das kann man Behavio(u)rismus nennen.

Ich tue das, weil es ein wissenschaftlich überprüfbarer Ansatz ist, mit dem man den Tieren weniger Unrecht tut, als durch eine unbegründete, oft falsche, Zuschreibung von Gefühlen. Hundebesitzer – aber auch gewisse Hundetrainer im Fernsehen – sagen schnell: „der/ die ist eifersüchtig, will der Chef sein, hat Angst dass xy, will dass ich dies und jenes tue oder nicht tue.“ Denkt zum Beispiel an einen Hund, der seinen Kopf auf den Fuß des Menschen legt. Die Reaktionen können reichen von an „der ist dominant, der will mich kontrollieren“ bis zu „der mag mich!“.

„Was heisst das denn?“, will man von mir als „Profi“ dann wissen. Ich weiß es nicht! Und ich gebe gern zu, dass ich es nicht weiß. Ich gebe gern zu bedenken, dass die isolierte Handlung „legt Kopf auf den Menschenfuß“ vielleicht gar nichts „heißt“, wenn man sie ohne Zusammenhang sieht.

Das Verhalten, das ich im Training sehe, würde ich dann „funktionalistisch“ untersuchen: ich würde fragen, was direkt davor passiert, und was direkt danach. Dann wüssten wir wahrscheinlich, was der Hund bezwecken oder ausdrücken will, wenn er den Kopf auf den Fuß des Menschenn legt.

Das heißt: in der funktionalen Verhaltensanalyse vermeiden wir es, Gefühle des Tieres als Erklärung von Verhalten heranzuziehen. Das ist eine Black-Box-Lösung: Wir sagen nicht (mehr), dass es Gefühle nicht gibt, wir sprechen nur nicht über sie.

Das ist die pragmatische, die handlungsorientierte Herangehensweise. Es gibt noch eine andere.

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Marc Bekoff sagte über die Zuschreibung von Gefühlen in einem Vortrag: „We have to stop pretending that we don’t know. Can we be wrong sometimes? sure! Can we be wrong concerning other humans? Sure! [Wir müssen aufhören, so zu tun, als wüssten wir es nicht. Können wir uns manchmal irren? Natürlich! Können wir uns in Bezug auf die Gefühle anderer Menschen irren? Natürlich!]

Wenn ich also frage, ob Habca traurig ist, ob sie um Nomi trauert, ob sie Nomi vermisst – dann schaue ich in erster Linie ihr Verhalten an. Weil ihr Verhalten beobachtbar, messbar, für verschiedene Menschen vergleichbar ist.

In ihrem Verhalten sehe ich:

  • sie frisst weniger gut
  • sie hält sich noch mehr in meiner unmittelbaren Nähe auf als eh schon
  • sie spielt mit ihrem Spielzeug
  • sie will spazieren gehen   geht gern spazieren   hat Spaß am spazieren [seht ihr, wie schwierig das sein kann, nicht über Emotion zu sprechen, und dem Hund nichts zu unterstellen?]

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Nun ist gerade Trauer häufig eine stille Emotion, die auch beim Menschen nicht unbedingt Verhalten produziert. In meinen traurigsten Momenten sitze ich zum Beispiel oft nur da, und denke an Nomi, stelle mir vor, wie es wäre, wenn sie noch da wäre, oder wie es war, als sie da war. Ich beschäftige mich „innerlich“, wie man sagt, mit etwas, das nicht „da“ ist.

Ich glaube, dass das mit vielen unserer Gefühle so ist, und habe deshalb beim oben erwähnten Seminar Marc Bekoff danach gefragt: glaubt er, dass Tiere Gefühle durchleben, während sie zum Beispiel still in ihrem Körbchen liegen und durch die Gegend schauen?

Er antwortete (im Sommer 2013), dass bald ein Buch erscheinen würde, dass mir diese Frage vielleicht beantworten würde – er bezog sich auf Gregory Berns „How Dogs Love Us„, das über Hirnscanner-Studien an wachen Hunden berichtet. Spannend! Berns kann zum Beispiel zeigen, dass ein Hund sich über den Geruch seines abwesenden Menschen freut – das kann heißen, dass er sich den Abwesenden in diesem Moment vorstellt (muss es aber nicht). Aber über Trauer können wir sie auch so noch nicht befragen – unter anderem, weil wir nicht wissen, wonach wir suchen. Wie „Trauer“ im Gehirn aussieht, wissen wir nicht.

Wie sieht „Trauer“ aus? Was ist Trauer?

Wikipedia sagt, Trauer bezeichne

  • „einen emotionalen Zustand. Es ist ein Gefühl der Niedergeschlagenheit, eines Mangels an Lebensfreude (kurzzeitig oder länger andauernd) oder eines seelischen Rückzugs, einer starken Kränkung;
  • einen Prozess bei der Bewältigung von Trennung, Krankheit, des Sterbens und insbesondere nach dem Tod eines geliebten Menschen oder auch bei einem sonstigen schweren Verlust;“

„Niedergeschlagenheit“, „Mangel an Lebensfreude“, und „Rückzug“: das können wir beobachten. Nicht im strengen behavioristischen Sinne, aber wenn wir den Behaviorismus ergänzen um etwas, womit ich nun behutsam, aber mutig umzugehen versuche: Einfühlung. Empathie. Intuition.

Mut zu Empathie und Intuition macht uns nicht nur Marc Bekoff, sondern z.B. auch Elisabeth Beck in ihrem wunderbaren Buch „Wer denken will muss fühlen“: Wir brauchen beides, das Wissen und die Intuition, um Hunde zu verstehen. 

Habca und Nomi waren wunderbare Schwestern. Habca war in Nomis zweiter Einzelstunde als hunde-aggressiver Hund dabei, und sie haben miteinander gespielt. Gerade zusammen haben sie mir wunderschöne Momente geschenkt: wie auf ein unsichtbares Signal tauschten sie nach dem Fressen ihre Näpfe. Die ressourcenbewusste Nomi leckte vor zwei Monaten einen Napf gemeinsam und gleichzeitig aus! Einmal trabten sie mit ihren Knabberstangen, die sie in der Küche erhalten hatten, ins gleiche Körbchen – und taten so als wäre es nichts besonderes. Miteinander gespielt haben sie sehr selten – beide waren vornehme, komplizierte Damen – aber Habca hat Nomi immer mit einem Schleck über das Gesicht begrüßt, wenn sie getrennt unterwegs gewesen waren. An Nomis letztem Tag hat Habca Nomi, die sehr elend im Hundebett lag, plötzlich maunzend angespielt. –

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zehn Tage vor Nomis Tod

 

Nomi wurde bei uns zu Hause eingeschläfert. Habca war im Nebenzimmer – ich wollte nicht, dass sie sich oder Nomi aufregt. Habca wuffte beleidigt immer mal wieder im Nebenzimmer, und Nomi hob jedesmal den Kopf, mit allerletzter Kraft, um wie immer ihrer Schwester zur Seite zu stehen.

Als die Ärztin gegangen war, blieb Nomis Körper noch ein paar Stunden bei uns, bevor der Bestatter kam, damit wir alle in Ruhe Abschied nehmen konnten. Ich glaube, dass viele Geschichten, in denen Hunde ihren toten Mit-Hund suchen, darauf beruhen, dass der überlebende Hund nicht Abschied nehmen konnte. Deshalb war mir das ganz wichtig.

Als wir Habca ins Zimmer holten, reagierte sie zunächst gar nicht auf Nomis Körper. Sie schaute kurz, als wolle sie sagen, „da liegt Nomi, na und?“. Wir wiesen sie mehrmals darauf hin, ermunterten sie, sich das näher anzuschauen. Wir beide hatten das Bedürfnis, Nomi abwechselnd noch ein wenig im Arm zu halten.

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Habca roch an Nomis Nase, als wolle sie die Atmung überprüfen. An Nomis Hintern – wie sie es immer getan hatte, erst vorne, dann hinten. Dann stupste sie sanft ihre Vorderpfote an. Und dann – weinte sie. Oder maunzte. Oder jaulte. Ich weiß nicht, wie ich das Geräusch nennen soll, ich habe es vorher so nie gehört. Zweimal machte sie das Geräusch, es klang traurig. – Seitdem verhält sie sich völlig normal.

Habca sucht Nomi nicht, wenn wir nach Hause kommen (ich tue das, gedanklich). Sie ist nicht zurückgezogen, depressiv, niedergeschlagen. Habca hat Spaß am Leben, würde ich sagen. Ja, sie ist noch näher bei mir als vorher – aber ich denke, das liegt eher an ihrem feinen Gespür dafür, dass es mir nicht gut geht. Sie liegt manchmal in Nomis Bett – aber sie schnuppert nicht wehmütig an allem, was nach Nomi riechen könnte, so wie ich es tue.

Ich glaube, für Habca ist das Leben so, wie es ist. Als kleine tibetische Buddhistin ist sie viel besser als ich darin, das Leben zu akzeptieren.

Mit einer einzigen Ausnahme: Sie und ich, wir müssen zusammen sein.

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