In blog, Hundephilosophin, Hundezucht, Mensch-Hund-Beziehung, Rike, Schipperke
Als ich die Entscheidung für Rike getroffen habe, haben auch ethische Überlegungen eine Rolle gespielt. Natürlich ist mir bewusst, dass einige sagen werden: „als Trainerin sollte man sich doch den schwierigsten Hund aus dem Tierheim holen!“ Es ist nicht nur so, dass das möglicherweise nicht in mein Leben passen würde – viel Arbeit macht ein Welpe ja auch erstmal.
Ich habe von diesen Überlegungen schon geschrieben, aber einen Aspekt habe ich dabei noch nicht erwähnt: ich finde es richtig, (größere) Entscheidungen so zu treffen, dass ich es gut fände, wenn alle nach den zugrunde liegenden Prinzipien handeln würden.
Mich interessiert, wie ein „gutes Leben“ mit Hund für Menschen möglich ist. Oft ist es „trotz“ vieler Einschränkungen möglich – liegen diese nun mehr auf der Seite des Menschen oder des Hundes. Aber als „Prinzip“ fände ich es wünschenswert, Hunde zu züchten und aufzuziehen, die für das Leben, das ihre Menschen führen, gut geeignet sind. Ich finde es nicht wünschenswert, mit Hunden zu handeln oder Hunde sinnlos und tierschutzwidrig zu vermehren. Ich finde es nicht wünschenswert, Hunde gedankenlos und massenhaft aus anderen Ländern und Kulturen zu importieren. Ich finde es nicht wünschenswert, Straßenhunde von der Straße zu holen, ohne vorher näher hinzusehen. Ich finde es nicht wünschenswert, echte Gebrauchshunderassen mit Arbeitswillen im Blut, wahllos in wohlmeinende Haushalte zu stecken, die diesen Hunden niemals gerecht werden können. Ich finde es nicht wünschenswert, durch Hundehaltung sich oder andere zu gefährden, oder auch nur: sein Leben zu verschlechtern, sich derart zu überfordern, dass Hundehaltung keinen Spaß mehr macht oder andere belästigt und benachteiligt. Ich finde es nicht wünschenswert, Hunde zu halten, die laufen wollen, die man aber nie laufen lassen kann, oder Hunde, die jagen wollen, und niemals werden jagen können – ohne ihnen irgendeinen wertvollen Ersatz anbieten zu können. Ich finde es nicht wünschenswert, Hunde nur auf „Schönheit“ und ästhetische, überkommene Rassenstandards zu züchten. Ich finde es nicht wünschenswert, Hunde zu züchten, die ihre Welpen nicht mehr allein gebären oder abnabeln können, die nicht frei atmen können, die von Geburt an mit Hautproblemen, Herzkrankheiten, Allergien kämpfen. Ich finde es nicht wünschenswert, Hunde zu produzieren, die aufgrund mangelnder Sozialisation und/ oder mangelhafter genetischer Ausstattung niemals in der Lage sein werden, entspannt, gelassen, souverän den Alltag zu meistern.
Mich interessiert, wie ein „gutes Leben“ mit Hund für Menschen möglich ist. Ich nehme an, es gibt viele Modelle, viele Möglichkeiten. Ich gehöre nicht zu denen, die glauben, es wäre besser, Tiere überhaupt nicht als Haustiere zu halten. Ich glaube vielmehr, dass Hunde nur in der Partnerschaft mit dem Menschen überhaupt existieren – und dass Menschen erst durch und mit Hunde zu Menschen geworden sind. Ich glaube, wir Menschen und ihr Hunde sind „companionship species“ – zwei Arten, die zusammen gehören. Es ist zu spät, uns aus der Geschichte der Hunde rauszuhalten. Wenn wir aber schon die genetische Ausstattung einer anderen Art bestimmen, wenn wir ihnen die Partnerwahl abnehmen, wenn wir ihnen jede Freiheit nehmen, die ein Lebewesen haben kann – dann sollten wir es wohl so klug wie möglich machen. Wir sollten die Zukunft der Hunde im Sinne der Hunde gestalten – und das heißt: im Sinne einer guten Partnerschaft.
Mich für Rike zu entscheiden, ist für mich auch ein Statement für eine Hundezucht, die körperlich und seelisch gesunde, stabile Hunde hervorbringt, die alle Voraussetzungen haben, ein gutes Leben mit ihrem Menschen zu führen. Das können meines Erachtens nur kleine, verantwortungsvolle Züchter, die ihre Genetik verstanden haben, und entsprechend verpaaren, die die richtigen Abnehmer suchen und finden, anstatt drauf los zu produzieren, die nicht vorhaben, mit ihrer Zucht Geld zu verdienen. Und die verstehen, dass es heute nicht mehr auf Schönheit (im Sinne der FCI) ankommen kann, und nicht mehr auf Eignung für die alten Berufe der Gebrauchshundrassen, sondern auf „Tauglichkeit“ für ein Leben nah am Menschen. Ich glaube tatsächlich: die Zukunft der Hunde hängt davon ab, dass irgendjemand es schafft, Hunde zu züchten, aufzuziehen und auszubilden, die mit diesen Gegebenheiten hier klarkommen – und das ist ja nicht wenig verlangt! Hunde, die den psychischen Müll und Ballast ihrer Halter mittragen oder zumindest ertragen können. Die allein bleiben können. Die sich von all den Menschen, die so gar nicht mehr wissen, wie Hunde ticken, betatschen und anstarren lassen, ohne ihnen gleich an die Gurgel zu gehen. Die die Reizüberflutung in einer Stadt wegstecken, das Auto nicht vollkotzen, Kinder nicht zum Fürchten und/ oder Fressen finden. Sowas.
Ich habe nicht vor, aus Rike den perfekten Hund zu machen, oder überhaupt: aus ihr irgendein„Projekt“ zu machen. Ich denke darüber nach, wie ich mich gern entwickeln möchte, was ich entfalten möchte. Als Hundepsychologin, als Hundephilosophin, möchte ich, dass Leute, die mich mit meinen Hunden sehen, etwas Schönes und Wertzuschätzendes sehen. Dass sie vielleicht Lust kriegen, Zeit mit Hunden zu verbringen oder sich ein wenig mehr auf Hunde einzulassen. Dass sie ein klein wenig vom Bild des kläffenden, Kinder fressenden Kack-automaten wegkommen.  Ich glaube, wir Hundemenschen und die Menschenhunde, wir können das schaffen: unsere Partnerschaft an diese neuen Umstände anpassen, ohne einen von uns zu verbiegen oder zu zerstören. Ich hoffe es.