In Abenteuerspaziergang, Agility, Hund und Wasser, Hundeerziehung, Hundepsychologie, Hundesport, Hundetraining, Mensch-Hund-Beziehung, Schipperke, Spielen und Spielzeug

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Erinnert Ihr euch auch noch an „Projektwochen“ in Eurer Schule? Da hat man sich plötzlich eine Woche lang mit der Steinzeit oder mit „Hildegard von Bingen“ oder Dinosauriern beschäftigt. Jeder Fachlehrer hat sich etwas ausgedacht, was sein Fach mit diesem Projekt verband. Ich fand das immer ganz schön.

Wenn ich selbstbestimmt lernen kann – also ohne Schule und Uni – habe ich immer wieder solche „Projektwochen“, manchmal geht das von einem Buch, einem Roman aus, oder einer Person, die ich kennen lerne, oder zum Beispiel als ich Meerschweinchen hatte, wollte ich alles über sie wissen, was ich finden konnte, und gleichzeitig habe ich besser „Werkeln“ gelernt, weil ich ihnen einen Stall bauen wollte. Natürlich dauert sowas dann keine Woche, sondern eher Monate.

Was ich total spannend finde, ist, dass Kinder, die man nicht durch Schule und Erziehung in ihren Interessen und ihrer Zeiteinteilung fremdsteuert, auch oft ein Thema über einen längeren Zeitraum sehr intensiv und aus verschiedenen Perspektiven erforschen. Kindern solche Themen nicht vorzugeben, sondern ihrer eigenen Entwicklung und ihrem Wunsch zu lernen, zu vertrauen – das tun „Un-Schooler“. (Unschooling bei Wikipedia — ein „Anfänger-Guide“ zum Unschooling — schöner Text über Freilernen und Homeschooling).

„Wir stellen immer wieder fest“, schreibt Lena Busch, „[…] dass unsere Kinder ihre Entwicklungsschritte dann machen, wenn sie dazu bereit sind – manche früher, manche später. Oder hat schon jemand einem gesunden Kind Laufen beigebracht? Oder Sprechen? Oder Klettern, Springen, Rutschen?“

Nun habe ich ja seit einem Jahr das Glück, als ein Mensch, der ein bisschen was von Hunden versteht, einem kleinen Hund beim Aufwachsen zuzuschauen. Es ist nicht mehr nur pures Staunen und unsicheres Ist-das-richtig-so-Fragen, wie in Habcas Welpenzeit – es ist ein informiertes Staunen, könnte man sagen. Ich habe einmal ein Buch gelesen von einem Entwicklungspsychologen, der das Aufwachsen seines Kindes beobachtet – als Vater, und als Fachmann zugleich (Charles Fernyhough: Das Kind im Spiegel: Wie Bewusstsein entsteht) – das fängt diese Art des Beobachtens schön ein.

Was mich fasziniert hat, und immer noch fasziniert, ist, dass auch Rike immer wieder „Themen“ hatte, die sie intensiv verfolgte, die dann ruhten, über Wochen oder Monate, die sie wieder aufgriff… Mit neun Wochen war das zum Beispiel die Buddel-Bewegung: sie erkundete, auf welchen Untergründen man buddeln kann, auf welchen weniger. Sie beobachtete andere Hunde beim Buddeln. Kurz danach war der Mäusel-Sprung „dran“: mit und ohne Anlass sprang sie so, verfeinerte die Technik. Kürzlich erst beobachtete sie auf einem Spaziergang einen anderen Hund, der nach Mäusen sprang. Sie lief zu den Stellen hin, schnupperte ausgiebig, versuchte manchmal auch einen Sprung. Es ist manchmal, als könne man sie denken sehen, und forschen, und ausprobieren…

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Seit Sommer ist, erkundet sie das Wasser: Wo kann man trinken, wie weit kann sie stehen, was machen andere Hunde mit Wasser? Habca findet es wichtig, Stöcke aus dem Wasser zu ziehen, Rike macht es ihr nach. Sie schlägt und rudert mit einer Vorderpfote, um die Tiefe festzustellen. Sie beißt ins Wasser. Abends macht sie Blasen im Wassernapf.

Manchmal möchte ich ihr etwas beibringen, von dem ich finde, dass es jetzt „dran“ sein könnte: auf eine Bank springen, zum Beispiel, oder einen Moment sitzen bleiben. Manchmal klappt sowas dann überhaupt nicht, und ich lasse es, versuche es vielleicht ein paar Wochen später nochmal, oder ändere meine ursprüngliche Idee ab. Heute erst saß ich auf einer Bank, und Rike sprang hoch und setzte sich neben mich, als wäre es das selbstverständlichste von der Welt. Es ist ein paar Monate her, dass ich versucht habe, sie dazu zu „überreden“, sie hat Habca immer mal wieder dabei beobachtet, und jetzt war sie eben so weit…

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„Platz“ ist ihr, als ich fand, sie könnte es lernen, total schwer gefallen. Ich hatte fast das Gefühl, sie war körperlich noch nicht so weit – ohne das näher erklären zu können. Ich habe sie nicht damit getriezt. Irgendwann konnte sie es einfach.

Ich weiß, es ist schwer, dieses Vertrauen zu haben, dass der Hund das, was er braucht, schon lernen wird. Und er soll doch so viel lernen, was er nicht braucht!

Bei Kindern kann ich es mir nur vorstellen, und bei Freunden beobachten: wie viel Vertrauen gehört dazu, ein Kind nicht zum Lesen zu drängen, sondern daran zu glauben, dass manche Kinder Lesen eben mit fünf lernen, und andere mit neun, und beides gleich gut ist? 

Während ich Rike begleite, bekomme ich für dieses Vertrauen etwas ganz Großartiges zurück: ich darf miterleben, wie sich ein kleiner Hund entwickelt, mit seinen plötzlichen Interessenschüben, wie sie plötzlich „so weit“ ist, wie sie das auch zeigen kann. Ich erhasche Einblicke in das latente Lernen: wie sie Sachen plötzlich kann, die wir nur mal angefangen haben. Ich versuche zu fördern, was sie anbietet. Und wenn ich etwas mit ihr ausprobieren oder erarbeiten will – bei Seminaren zum Beispiel – dann fällt es auf fruchtbaren Boden, weil wir an ähnliches anknüpfen können, weil sie selbstbewusst genug ist, Umgebungen und Gegenstände zu erkunden, und auszuprobieren, was man damit machen kann. Weil sie gelernt hat, zu lernen. Ich verstärke dann nur noch selektiv das, was ich gerade haben will – dieses Vorgehen kennt sie.

So haben wir uns vor kurzem von einer Freundin „NADAC Hoopers Agility“ zeigen lassen: Erst hat Rike zugeschaut, wie ein anderer Hund es vorgemacht hat. Den Torbogen zu durchlaufen war leicht, weil sie ein Bodentarget kennt. Das „Fass“ habe ich ihr gezeigt, und sie hat vorgeschlagen: da könnte man draufspringen, drumherumlaufen… – „halt, Stop“, habe ich gerufen, „das nehmen wir heute!“. Später wurde ihr das ganze ein wenig langweilig, und sie spazierte weg von mir – davon halte ich sie nicht ab – zur A-Wand, die im Garten herumsteht. Eine Woche zuvor hatte ich sie ein Stück hochgelockt, so die Hälfte der einen Seite mochte sie laufen, mehr musste sie dann auch nicht. Sie hatte gesehen, wie die anderen es machten. Jetzt, eine Woche später, schnupperte sie an der A-Wand, lief hoch, über den Gipfel, und wieder runter – dann kam sie zu mir zurück, als wäre nichts gewesen.  

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Rike lernt nicht alles in der Reihenfolge, in der es andere Hunde lernen, manches lernt sie vielleicht überhaupt nicht, dafür andere Sachen. Ich habe ihr von Anfang an viel angeboten: viel (Intelligenz-)Spielzeug, viel Gelegenheit zu Beobachten, Auszuprobieren, Kontakt zu vielen verschiedenen Hunden und Menschen, viele Erlebnisse, Abenteuer, Ausflüge. Schon als sie dabei streckenweise noch auf meinem Arm sein musste, war immer auffällig, wie intensiv sie alles beobachtete! 

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Obwohl ich Hundetrainerin bin (ich nenne mich nicht gern so, aber faktisch bin ich es ja doch), geht mein Hund nicht in die (Hunde-)Schule – und darüber bin ich sehr froh. Keiner schreibt uns ein Kurrikulum vor – es gibt nur eine Pinnwand mit Ideen und ein Leben voller Anregungen.

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