In Hundepsychologie

Oft ist es einfach ein Missverständnis, wie beim „Alphawurf“: Nein, Hunde machen das nicht mit Hunden. Aber oft stimmt dieses Argument, das gegen positive Methoden im Hundetraining vorgebracht wird: Hunde sind doch zueinander auch nicht immer nett, Hunde knuffen sich, machen einen Schnauzengriff, setzen ihre Interessen nicht unbedingt mit positiven Methoden um. Hunde cklickern sich nicht gegenseitig und belohnen sich wenig untereinander.
Ja. Aber. Hunde sind Hunde. Wir sind Menschen. Ich habe nicht vor zu meinem Hund eine Beziehung zu haben wie Hunde sie untereinander haben. Ich gaukle ihr nicht vor ein Hund zu sein (– oder vielleicht ein Wolf?). Ein anderer Hund wird sie nicht bitten bei Fuß zu gehen, über Hürden zu springen den Mund zu halten, eine ihr unbekannte Person zu suchen, sich kämmen zu lassen, beim Ohrensaubermachen still zu halten, am Bordstein zu warten. Unsere Beziehung ist keine Hund-Hund-Beziehung, und deshalb ist dieses Argument meines Erachtens ungültig.

Diue von mir sehr geschätzte Trainerin Susan Garrett hat gerade eine Reihe Posts mit ähnlicher Argumentationsrichtung geschrieben die ich gerne zu lesen empfehle: http://susangarrettdogagility.com/2011/07/dogs-do-it-so-shouldnt-we/
http://susangarrettdogagility.com/2011/07/transitioning-to-do-land/

Showing 7 comments
  • Mmmh. Was mir in dem verlinkten Beitrag auffiel, war der Satz: „I think we all want more than that for our relationship with our pets don’t we?“ Ich glaube ja, das ist schon im Grundsatz der falsche Ansatz. Ich persönlich denke mittlerweile, dass in der Beziehung mit dem Hund eben nicht darauf ankommen sollte, was wir vielleicht wollen, sondern was der Hund braucht – und jeder Hund braucht Führung (es sei denn, man lebt in der sibirischen Wildnis jenseits von Straßen, Autos, anderen Menschen und Gesetzen) und ein stabiles Gefüge mit Grenzen, die er nicht mit dem Clicker vermittelt bekommt. Jedenfalls täte mir der Hund leid, dem man „Spring nicht auf das Sofa“ zu clickern versucht ;-)

    Was das Video angeht – dass die Beziehung zwischen zwei Hunden, von denen einer ein Welpe ist und der andere offensichtlich keinerlei Führungspotential hat, nicht als „role model“ dienen sollte, ist ja wohl klar. Erstrebenswert ist ja nicht das Verhalten jedes x-beliebigen Hundes. Sondern des Hundes mit klaren, natürlichen Führungsqualitäten. Wie Anita Balser so schön sagt: Einer unter Hundert. Dass man als Mensch da nie ganz ran kommt und sich teilweise mit Krücken behelfen muss, ist auch klar.

    Ich finde auch, es ist immer noch ein großer Unterschied zwischen ERziehung i.S.v. Sitz, Platz, Fuß und BEziehung i.S.v. „Wer hat hier eigentlich die Führung?“. Beides sollte man m.E. nicht vermischen.

    Ich bin halt großer Anita-Balser-Fan… :-)

  • Anonymous

    Einige Gedankenschnipsel dazu, Jamie:
    Also, ich habe ja nicht so viel Ahnung von den Grundlagen wie Miriam oder andere, aber nach Durchsicht der Seite von A. Balser erscheint mir doch einiges dort merkwürdig. Ich bin ja eher ein theoretischer Typ, da erschienen mir zunächst die dort zu findenden „Naturgesetze“ nicht nur als etwas spiritistisch (kann ja jeder glauben, wie er mag, hab ich nix gegen), sondern auch fragwürdig in den Schlussfolgerungen: wie lässt sich behaupten, „die Natur“ hätte „fundamentales Vertrauen in sich“, so dass Angst z.B. „etwas ist, das die Natur nicht vorgesehen hat“? 1. ist die Idee, die Natur „hätte Vertrauen“ eine menschliche Projektion, und 2. ist der hirnphysiologische Zustand, den wir als Angst wahrnehmen und/oder beschreiben, eine Tatsache mit weitreichenden Folgen für das Verhalten von höheren Säugetieren, das auch natursystemisch gedacht einen Sinn ergibt (Flucht vor Gefahr, Lebens- und Arterhaltung).
    Ich habe den Eindruck, zugrunde liegt dem ein bestimmtes Verständnis „der“ Natur und für Balser damit auch „des“ Hundes als Teil „der“ Natur (und Menschen: sind wir un-natürlich?), das der Komplexität der langen Mensch-Hund-Geschichte, aber auch der Komplexität biologischer Systeme allgemein nicht gerecht wird. D.h. nicht, dass ihre Trainingsmethoden schlecht sein müssen oder schaden (kann ich nicht beurteilen), aber das heißt, dass der Alleinvertretungsanspruch, die „richtige“ Lehre zu vertreten, weil sie sich an „der Natur“ orientiert, andere Methoden unzureichend gerchetfertigt abqualifiziert. Es gibt etliche Hunde, die mit ihren Menschen ein leidarmes und funktionierendes Leben führen, und dorthin sind sie mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Methoden und Wegen zwischen „Führung“, Futterbelohnung, Grenzsetzung, etc. gekommen.
    Aber, ein Einspruch gegenüber dem „hundeteam“-Ansatz bleibt bei all diesen Wegen: Sie schreiben:
    „Unsere Arbeitsweise ist angelehnt an die Natur des Hundes. Wie Hunde, verwenden auch wir keine künstlichen Hilfsmittel. Ruhiges nebeneinander hergehen, sich an ihrem Führer orientieren, Grenzen zu akzeptieren sind natürliche Verhaltensweisen von Hunden, die man ihnen kommunizieren kann, ohne hier bei auf Konditionierung (Lernverhalten) zurückgreifen zu müssen.“

    Das klingt nun so, als bräuchte man kein Lernverhalten, um an seiner Beziehung zum Hund zu arbeiten. Das ist aber tatsächlich völlig falsch. Denn wir alle (Menschen, Hunde, viele andere Tiere, in einem weiteren Sinne durch erfolgreiches Anpassen auch andere Organismen) lernen permanent, ob nun mit Futterbelohnung oder auf der Beziehungsebene (wie z.B. bei der Idee der Führung).
    Entschuldigung, das sollte kein typisches Foren-Verhalten-Rundumschlag werden, ich hoffe, das ist es nicht.
    F. (der Typ im Habca-Reich)

  • Miriam

    Liebe Kathrin, ich glaube man kann genausowenig allgemein sagen was ein Hund braucht wie man allgemein sagen kann was ein Mensch braucht (ich bin halt Anti-Essentialist). So brauchen die Hunde mit denen ich zu tun habe sehr unterschiedliche Arten und auch Grade von Führung. Hinzu kommt dass Menschen, der andere Teil der Beziehung, eben auch sehr verschiedene Dinge brauchen, und verschiedene Dinge geben können. Ich lege auch viel Wert darauf herauszufinden was Menschen so von ihren Hunden wollen, weil auch Menschen Motivation brauchen um ihrem Hund etwas davon zu geben was er braucht – wenn denn sie oder jemand anderes überhaupt verstehen was er braucht. Da mir diese Interaktivität der Beziehung so wichtig ist glaube ich eben auch dass die Bedürfnisse beider „Parteien“ in unterschiedlichen Beziehungen unterschiedlich sind. So wie ich in meinen Beziehungen und den in ihnen erfüllten oder nicht-erfüllten Bedürfnissen zu meinem Mann, meiner Mutter und einer Freundin sehr unterschiedlich sein kann. Deshalb glaube ich nicht dass ich meinem Hund ein – unterstelltes – Bedürfnis nach einem Führungshund erfüllen kann oder muss.
    Dein letzter Absatz ist nochmal ein anderes Thema: Erziehung findet m.E. in Beziehungen statt…
    Danke für den Kommentar,
    Miriam

  • Hi Ihr zwei,

    danke für Eure Rückmeldungen auf meinen Kommentar. Ja, nun, ich bin eher Praktikerin ;-) Ich habe mich mit der Frage, welches Naturverständnis Anita Balser hat, nie auseinandergesetzt, weil es für mich persönlich unerheblich ist. Wichtig ist für mich der Umgang mit dem Hund.

    Ich glaube übrigens schon, dass man sagen kann, dass in unserem modernen Leben jeder Hund Führung braucht – dass nicht jeder Mensch sie geben will, ist ganz bestimmt richtig, aber deswegen sage ich ja, dass es nicht darauf ankommen sollte, was „mensch“ will. Ein solch führungsloser Hund kann nämlich eine ziemliche Gefahr für sich und die Umwelt sein; wer sich einen Hund anschafft, muss damit leben, dass er entweder führt oder Probleme hat (und u.U. auch seiner Umwelt bereitet).

    Ich bin aber absolut einverstanden damit, dass Führung nicht bei jedem Hund gleich aussieht. Aber auch hier kann man sich – entgegen des verlinkten Videos als „role model“ durchaus einen hündischen „pack leader“ nehmen – wenn Ihr Euch eines der Videos von Anita Balser anschaut, ist dort der Umgang eines solchen „pack leaders“ mit diversen verschiedenen Hundecharakteren gezeigt. Und die Reaktionen der Leithündin sind in allen Fällen unterschiedlich, je nach Charakter ihres Gegenübers, und gleichzeitig doch mit einer gemeinsamen roten Linie ausgestattet.

    Und, ja, richtig, Erziehung findet in Beziehungen statt. Aber die Beziehung ist dabei m.E. das Fundament. Wenn die Beziehungsebene stimmt, ist Erziehung i.S.v. Sitz, Platz, Fuß das Tüpfelchen auf dem „i“. Ich halte es umgekehrt für falsch zu glauben, man könne etwa mit dem Clicker an der Beziehung arbeiten – die Tatsache, dass ein Hund sich für den Click setzt, sagt über die Beziehung ziemlich wenig aus – schon mehr über den aktuellen Wunsch des Hundes nach dem Click.

    Und, ja, ich kann einen Hund bei mir behalten, ihn ablegen, ihn an einem bestimmten Ort warten lassen – all das ohne Konditionierung und ohne Kommandos und ohne Leine, rein über körpersprachlicher Kommunikation mit dem Hund. Vielleicht schaut Ihr Euch mal ein oder zwei ihrer Videos an; dann wisst Ihr besser, worüber ich hier schreibe und wovon Anita Balser spricht.

    Für eine Hundetrainerin, denke ich, auf jeden Fall interessantes Anschauungsmaterial. Man muss ja nicht alles übernehmen. Aber mal kennenlernen.

    Ich hoffe, Ihr seid nicht böse, dass ich das hier los geworden bin.

    Viele Grüße
    Kathrin mit Jamie und Pippin

  • Kleine Ergänzung: Könnt Ihr meinen Kommentar zum Video bei Susan Garrett sehen? Ich nicht mehr; der scheint gelöscht zu sein – mhm, mir scheint, da ist Kritik (die in Form eines sehr freundlichen Hinweises zur Belastbarkeit dieses Videos formuliert war) wohl nicht erwünscht, schade…

  • Miriam

    Hätte ich ihn nicht schon geheiratet wäre das der ultimative Wir-passen-zusammen-Beweis, oder? Sitzt der F. im Nebenzimmer und schreibt einen Kommentar zum gleichen Gedanken. Er ist der Politikwissenschaftler und Philosoph, ich bin die Philosophin und Hundetrainerin – ich kenne Anita Balsers Arbeit natürlich und finde sie auch gut, solange sie keinen Alleinvetretungsanspruch stellt. Und: Wer Praktiker sein will dem rede ich gar nicht rein, aber wer das unbedingt mit einer umfassenden Naturtheorie untermauern will der muss sich schon sagen lassen dass da einiges nicht zusammen passt. In der Philosophie ist zum Natur-Begriff in letzter Zeit viel gedacht worden, F. veröffentlicht da selbst was, und ich schreibe gerade an einem kleinen Text, insofern sind wir da sensibilisiert.
    Das andere: Mein „role model“ ist kein Leithund, aber ich finde es in Ordnung wenn Leute sich das für ihre Beziehung zu ihrem Hund als Leitbild vornehmen, so lange sie noch sehen dass es da Grenzen gibt (deswegen der Wolfsmann als übertriebenes Gegenbeispiel). Sowas kennst Du bestimmt auch. Ist schön, wenn das für Dich und Deine Hunde so stimmig ist und funktioniert und Euer aller drei Bedürfnisse erfüllt. Ich sehe halt jeden Tag viele Leute die Probleme mit ihren Hunden haben (und ja, auch mit ihren Hunden der Umwelt Probleme bereiten, wie Du schreibst) und sehe dass mit einer Dosis Führung und A. Balser nicht allen geholfen wäre. Dafür sind wir Menschen, sind Hunde und sind Beziehungen zu komplex. Dafür ist auch Lernverhalten zu komplex, denn Lernen findet ja nicht in erster Linie statt wenn ich mich hinstelle und sage „so, Hund, jetzt bringe ich Dir was bei“. Konditionieren findet nicht in erster Linie dann statt wenn ich meine Trainingseinheit entworfen habe oder gar den Clicker auspacke. Auch Erziehung ist m.E. nicht losgelöst vom Miteinanderleben zu sehen. Egal ob mit oder ohne Clicker. Der Clicker ist für mich ein Hilfsmittel, wie die Leine, das Halsband, das Halti, die Leckerli etc. Kann man Gutes und Schlechtes mit machen, und wenn ohne Hilfsmittel gar nichts mehr geht ist das ein Zeichen dafür dass etwas nicht stimmt.
    Ich glaube so uneinig sind wir uns gar nicht.
    Herzliche Grüße weit weit gen Osten,
    Miriam

  • Hey Miriam, ich glaube auch, wir sind uns in vielem, wenn auch nicht in allem (aber das muss man ja auch nicht!) einig :-)

    Viele liebe Grüße zurück in die Heimat
    Kathrin, die auch Alleinvertretungsansprüche nicht mag, im Training viel Leckerchen und Lob verbraucht und Grenzen ganz ohne Alphawurf und Schnauzengriff setzt ;-)

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