In Tibetterrier

Heute ist der 50. Jahrestag des tibetischen Aufstandes von 1959 gegen die chinesische Besatzung. Habca ist ein Tibet Apso, ein Tibet Hund – aber hat das etwas miteinander zu tun? Wieso fühle ich mich den Protesten gegen die chinesische Politik so verbunden, wenn ich Habca ansehe, wie sie sich auf dem Rücken räkelt und mir unter ihren Locken zublinzelt?

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts herrscht in Tibet ein feudales System, das die Mönche und insbesondere ihre höchsten Amtsträger, die „heiligen“ Lamas, erheblich begünstigt. Die Bevölkerung arbeitet zum Großteil als Leibeigene für einige wenige Großgrundbesitzer und die zahlreichen Klöster – entlohnt werden sie dafür in der Regel nicht. Harte Strafen erwarten jene, die gegen diese Zustände aufbegehren. Die Geschichte Tibets und die Geschichte des tibetischen Buddhismus ist eine Geschichte zahlreicher früher religiöser Kämpfe, strategischer Allianzen mit mongolischen und chinesischen Herrschern und schließlich jahrhudertelanger Herrschaft der religiösen Würdenträger, die dem, was wir heute unter menschenwürdigem Leben verstehen, kaum entspricht.

All dies wird oft von jenen genannt, die den chinesischen Einmarsch in Tibet 1953 als Befreiung verteidigen – und all dies ist wahr. Wieso sollte man trotzdem gegen die chinesische Politik in Tibet protestieren und den Jahrestag des Aufstandes gegen die Chinesen von 1959, in dessen Folge der Dalai Lama ins indische Exil flüchtete, dazu nutzen, das Schicksal Tibets ins Bewusstsein zu rufen? Und was hat das mit unserem schwarzen Fellmonster zu tun?

Nach dem Einmarsch der Chinesen, nach der Niederschlagung des Aufstands und besonders in der Kulturrevolution wurden Habcas entfernte Verwandte in Tibet in großer Zahl getötet. Oft, so wird berichtet, wurden Tibeter selbst gezwungen, sich daran zu beteiligen, um sie von der traditionellen Kultur und Religion zu entfremden. Die Hunde galten den Maoisten als unhygienisch und unnütz, aber zuallererst waren sie ein Symbol für die Traditionen und die kulturelle Identität der Tibeter, die Platz machen sollten für ein fortschrittliches, kommunistisches Tibet.

Seitdem hat sich in Tibet viel verändert. Die religiöse Autonomie war zwischenzeitlich wieder größer geworden, die Schulbildung ist besser, die Wirtschaft und die Infrastruktur wachsen, auch wenn die tibetisch-stämmigen Bewohner davon weniger profitieren als die zugezogenen Chinesen verschiedener Herkunft.

Doch was ihnen verwehrt bleibt, ist ein Gut, das schwerer wiegt als materielle Verbesserung: das Gefühl, das eigene Schicksal in der Hand zu haben, die Bedürfnisse und Wünsche der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt, frei verfolgen zu können, aufgrund der eigenständig formulierten Forderungen anerkannt zu werden. Die Geschichte des tibetischen Buddhismus mag dunkler sein, als viele romantisierende Tibet-Freunde es wahrhaben wollen. Aber dieser Geschichte eine andere Wendung zu geben, die Tradition für alle Beteiligten anders zu deuten und fortzuschreiben, das muss in der Hand derer liegen, die sich als Tibeter verstehen. Und dafür ist der in dieser Inkarnation in der Tat friedfertige und kluge 14. Dalai Lama ebenso ein Symbol wie die mutigen, unbestechlichen tibetischen Hunde.

Und deshalb wünsche ich mir für diesen Jahrestag, dass es keine Gewalt geben wird, um die Friedfertigkeit der buddhistischen Tradition nicht herzugeben. Ich wünsche mir, dass – bei der chinesischen Führung, aber auch bei Amerikanern und Europäern in der Weltpolitik, ja auch bei so vielen Hundetrainern in Deutschland, unter Verwandten und Bekannten, bei uns selbst – das Verständnis für die Ungerechtigkeit wächst, die es bedeutet zu glauben, man wisse, was für andere das Richtige sei.

Du, F.? Kannst Du mich am Bauch kraulen?

Na klar, kleine Tibeterin. Lass uns eine Bauchkraulmeditation machen: Om mani peme hung.

F.

Showing 3 comments
  • Johannes

    Ich war schon sehr gespannt. Toller Artikel, danke!
    Johannes, der sich den Wünschen anschließt

  • Bambams Frauchen

    Hallo Politologe!
    Dein Wunsch im letzten Absatz ist aber doch eigentlich philosophisch, oder? :))

    Liebe deinen Nächsten! Soll Jesus Christus gesagt haben. An den ich übrigens glaube. Liebe heißt auch, dem Mitmenschen die Freiheit zu lassen, selbst zu entscheiden, was für ihn das Richtige ist und diese Entscheidung dann zu respektieren.

    Aber davon sind wir anscheinend genau so weit entfernt, wie die Tibeter der Vergangenheit.

  • Annette

    Genau das wollte ich auch gerade sagen !! ;-)
    Annette und Kheyno (der sich auch eine Bauchkraulmeditation wünscht !!)

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