In Habca, Hund entlaufen, Hund in Mainz, Hundesitter, Pettrailing

Wir haben lange geschlafen, haben uns Toast mit Rührei geteilt und sind den Rhein auf und ab gegangen. Jetzt kann ich erzählen.

Ich war am Freitag in Trier auf einer Fortbildung und am Samstag musste ich in Mainz zu einer Konferenz, für die ich ein gewisses Verantwortungsgefühl hatte und bei der ich auch selbst einen Vortrag hielt. Am Freitagabend war eine Auftaktveranstaltung für diese Konferenz. Und F. ist übers Wochenende in Berlin, um seine Sachen zu holen und an den Rhein zu ziehen. Meine Freunde waren entweder auch bei der Konferenz oder verreist. Also blieb keine andere Wahl als Habca für beide Tage zu ihrer neuen Hundesitterin zu bringen, bei der sie erst einmal war. Und da diese von mir schwer zu erreichen ist dachte ich, es ist für alle einfacher wenn sie über Nacht bleibt anstatt dass ich sie in der Nacht noch hole nur um sie früh am nächsten Morgen zurückzubringen.

Der Freitag ist offenbar gut verlaufen.

Am Samstagmorgen habe ich mit der Hundesitterin telefoniert, alles war in Ordnung. Ich habe meinen Vortrag gehalten, wir hatten eine Zeitplan-Besprechung, wollten Mittagessen gehen. Ich habe mein Handy angemacht. Fünf Anrufe in Abwesenheit, Mailboxnachrichten, eine SMS: „Habca ist weggelaufen.“

Im Fluchen, im Weinen, in der Angst schaltet sich doch etwas ganz Kaltes, ganz Ruhiges in mir ein. Ein Auto organisieren, losfahren, alle anrufen die ich kenne. Könnt Ihr kommen?

Bei manchen bin ich unsicher, ich kenne sie gar nicht so gut. Es gehört zu den schönsten und berührendsten Erfahrungen meines jungen Lebens das alle sofort sagen „Wir sind schon unterwegs.“

Darunter auch Dixies Familie. „Meint Ihr Dixie kann Habca finden?“ – „Ja. Wir sind unterwegs.“

Eine Lektion in Mutterinstinkt. Ich spüre keinen Schmerz, als ich auf meine blutverschmierten Füße schaue. Wenn ich heute auf die Karte gucke sehe ich, dass ich viel gelaufen sein muss in meinem Kleid und den schicken Schuhen für die Konferenz. Ich sehe meine zerkratzten Beine, Mückenstiche und ein paar blaue Flecke, und ich habe keine Ahnung, wann und wo das passiert ist.

Ich spürte den ganzen Nachmittag nichts als nackter Angst und diese kalte Erkenntnis: Es geht jetzt nicht um mich. Wir müssen Habca finden, alles andere muss zurückstehen. Ich telefoniere mit Tasso, mit der Polizei („Tibetterrier? Na, die kennen wir doch. Selbst Hundehalter!“ – und, eine der schrecklichsten Momente des Tages: „Moment, da kommt gerade ein Verkehrsunfall rein, – (zum Kollegen:) wo isn das?-, ja, ganz ruhig – – – – ach ne, ist doch kein Hund.“), mit der Feuerwehr (die Polizei sagte mir, man solle auch die Feuerwehr anrufen, wusste ich nicht). Ich bitte die aufgelöste Hundesitterin, nachzuschauen welche Tierärzte Dienst haben und sie zu informieren. Ich überlege, das Tierheim anzurufen, aber ich denke, da Habca meine Nummer am Halsband hat, wird man mich anrufen anstatt sie ins Tierheim zu bringen. Irgendwann während dieser Telefoniererei geht ein Anruf auf meiner Mailbox ein, den ich nicht abhöre. Er lautet: „Wir haben Ihren Hund. Wir bringen ihn jetzt ins Tierheim.“

Dixie ist da. Ihr Frauchen hält ihr Habcas Decke vor die Nase und fordert sie zum Suchspiel auf. Dixie wedelt und rast los. Schnell wissen wir dass Habca in eine andere Richtung gerannt ist als die Hundesitterin gedacht hat. Sie ist die Weinberge ganz heruntergelaufen, in den nächsten Mainzer Vorort hinein. Dixie rennt und hat Spass, und da wo sie läuft sehe ich genau Habca vor mir, es passt alles: Wie sie in Hauseingänge hineinläuft und wieder heraus, Verstecke anguckt, irgendwann zu einem kleinen Platz findet wo ich vor zwei Monaten, als wir ein Kennenlerntreffen mit der Hundesitterin hatten und vorher noch ein bisschen umherliefen, mit ihr war. Sie scheint zum Haus der Hundesitterin zurückzulaufen. Wo Dixie zögert, suchen einige von uns das Gebüsch ab, während andere am Verlustort warten oder versuchen die Strasse zu sichern. Ich verliere Dixie und ihre Leute aus den Augen. Ich habe keine Ahnung wo ich bin. Allein. Es ist heiss, ich glaube mich übergeben zu müssen, die Handybatterie wird schwach. Es ist niemand auf den Strassen, den ich fragen kann. Ich laufe weiter.

Die Dixies warten auf mich, Dixie braucht nach über einer Stunde angestrengter Suche eine Pause. Sie haben Verbandszeug für meine Füsse. Eine hilfreiche Einwohnerin steht bei ihnen, verspricht die Augen offenzuhalten, schreibt meine Nummer auf.

Dixie findet die Spur sofort wieder und legt los. Weiter in den Ort hinein. Ich habe drei Verdachtsideen: Habca versucht zu Fuß nach Hause zu gehen – was sehr sehr weit wäre und sie noch nie gemacht hat. Oder sie versucht zum Rhein zu kommen, denn wir wohnen ja direkt am Rhein. Den müsste sie dann „nur“ noch entlanglaufen. Oder sie sucht den Bus. Letzteres klingt vielleicht erstmal komisch, finde ich aber nicht unwahrscheinlich. Habca fährt sehr viel mit mir Bus und macht das sehr gerne. Sie erkennt Bushaltestellen als solche, auch in Gegenden in denen sie noch nie war. Wenn wir lange unterwegs sind und sie hat keinen Bock mehr, setzt sie sich an irgendeine Bushaltestelle und wartet, nur mit Mühe kann man sie weiterziehen.

Ich stelle mich darauf ein, über Nacht in den Weinbergen zu bleiben, falls sie dorthin zurückkommt. Mike kauft etwas zu essen und Wasser.

Und dann irgendwann der Anruf. „Haben Sie meine Mailboxnachricht gehört?“ – „Nein.“ Ich habe Angst vor dem was die Frau sagen könnte. „Vermissen Sie Ihren Hund?“

Dass das Tierheim längst zu hatte, wir nicht wussten wo wir waren, die Autos ganz woanders standen und ich natürlich Habcas Impfausweise nicht dabei hatte – das sind nur Randnotizen zu dieser Geschichte.

Und das war nur meine Geschichte. Die wirklich aufregende Geschichte ist natürlich Habcas Version, und was ich davon weiss, werde ich Euch nächstes Mal erzählen. Viel ist es nicht.

Und dann gibt es die Geschichte, die sich auf der B9 zutrug, und die von ganz vielen Helden handelt, die gemeinsam beschlossen haben, das Leben eines kleinen tibetischen Glückshundes zu retten. Von dieser Geschichte weiss ich auch nicht viel. Ausser dass sie mein Leben gerettet hat, ohne zu fragen, wer ich bin.

Gerade in der letzten Woche war ich sehr unglücklich, weil eine Freundin, die mir viel bedeutet hat, mich schmerzhaft enttäuscht hat. Gestern hat mir ganz viel Vertrauen in die Menschen zurückgegeben. Die Menschen, die alles stehen und liegen liessen um meinen kleinen Hund zu retten. Ohne viele Fragen zu stellen, die meisten ohne meinen Hund zu kennen und weit davon entfernt Hundenarren zu sein. Sie haben die Not gesehen, und gehandelt.

Showing 4 comments
  • Karina

    Sieh es so: Habca hat eine so innige Beziehung zu dir, die kein Hundesitter ersetzen kann, dass sie einfach nur zu dir wollte! Habca liebt dich! Wie schön!
    Und nun weisst du es und kannst dich darauf einstellen.
    Und du weisst jetzt sicherlich auch viel besser, wie sehr du sie liebst. Lass es sie wissen! Immer! In jedem Moment!

    Und Dixie: eine grandiose leistung! Respekt!!!

    Ich habe in den letzten Monaten auch erfahren, dass es viel, viel mehr Menschlichkeit und Mitgefühl gibt, auch von Nichthundehaltern, als ich je gedacht hätte.

    Verwöhn dein Mäuschen ordentlich!

    Karina

  • Banjoko Silberlöwe

    Ach Miriam, mir wird beim Lesen schon ganz schlecht. Ich hab einmal – nur für ca. 30 Minuten – den Batzi verloren. Die Angst war unbeschreiblich. Daher kann ich mir ungefähr vorstellen, was du durchgemacht hast.

    Die Angst wird verstärkt durch das Wissen, wie abhängig sie von uns sind. Dass der Spaß des Lebens für sie ganz schnell vorbei sein kann, wenn sie ohne uns unterwegs sind. Dass es mit dem Zurückkommen oftmals auch nicht klappt und Tod oder Tierheim das Ergebnis sein können. Das ist ein Albtraum.

    Ich bin ja schon eine alte Q. Und die Erfahrung, dass man unendlich viel Hilfe bekommt, wenn man fragt und sagt, dass man Hilfe braucht, hab ich erst vor ca. 4 oder 5 Jahren machen dürfen. Schön, dass du das so früh erleben konntest. Es ist eine traumhaft schöne Erfahrung zumal wenn auch noch Leute dabei sind, die man gar nicht oder nur oberflächlich kennt.

    Genieße es, dass du sie wiederhast. Knuddel sie von mir und von Banjo mal richtig durch. Sie soll so einen Scheiß bloß nicht noch mal machen.

    Froh und erleichtert
    Banjo und sein Frauchen

  • Walter & Ash

    Oweh, was für ein Horror! Da ist die halbe Stunde, die Ash in Wald und Flur verschwindet, ein Witz.

    Lasst es euch das restliche Wochenende besonders gut gehen.

    Und ich muss mich Karina anschliessen: Eine grandiose Leistung- Dixie! Respekt!!!

  • Emils Frauchen

    Was für eine schreckliche Geschichte, ein Glück mit einem Happy End. Kompliment an Dixie & Co.
    Wie geht es Habca? Wie lange war sie eigentlich unterwegs? Hat sie alles schadlos überstanden?
    LG BB

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