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Thomas Manns Novelle „Herr und Hund“ von 1919 ist meines Erachtens ein Höhepunkt der Literatur über Hunde. Mann schildert sein Zusammenleben mit dem „Hühnerhundmischling“ Bauschan auf so einfühlsame, dabei nicht anthropomorphisierende Weise, dass mancher heutige „Hundepsychologe“ sich ein Beispiel daran nehmen könnte. Seine Beschreibungen des Hundelebens sind so genau, dass es unheimlichen Spaß zu lesen macht, und dass sich sogar heutige Theorien – z.B. die Calming Signals bei einer Hundebegegnung – wiederfinden lassen. Ohne eine größere sich entwickelnde Handlung werden verschiedene Episoden des Zusammenlebens von Thomas Mann und Bauschan (den es wirklich gab) berichtet: Die Wiedersehensfreude am Morgen, die Jagdversuche des Hundes, Spaziergänge im Wald, Begegnung mit anderen Hunden, wie Bauschan auf ihn wartet, wenn Mann „in die Stadt“ fährt, usw. Ich habe vieles aus meinem Zusammenleben mit Habca wiedererkannt.

Als Kostprobe (es ist halt Thomas Mann: ich mag es sehr, aber mancher findet es offenbar fürchterlich) eine Beschreibung ganz zu Beginn der Novelle: es ist früher Morgen, Thomas Mann tritt aus dem Haus um einen Spaziergang zu unternehmen, und pfeift Bauschan herbei, der aus seiner Hundehütte angerannt kommt (er schläft draußen):

„Schon im nächsten Augenblick, während ich gegen die Gartenpforte weitergehe, wird in der Ferne, kaum hör­bar zuerst, doch rasch sich nähernd und verdeutlichend, ein feines Klingeln laut, wie es entstehen mag, wenn eine Polizeimarke gegen den Metallbeschlag eines Halsbandes schlägt; und wenn ich mich umwende, sehe ich Bauschan in vollem Lauf um die rückwärtige Hausecke biegen und gerade auf mich zustürzen, als plane er, mich über den Haufen zu rennen. Vor Anstrengung schürzt er die Unterlippe ein wenig, so daß zwei, drei seiner unteren Vorderzähne entblößt sind und prächtig weiß in der frühen Sonne blitzen.
Er kommt aus seiner Hütte, die dort hinten unter dem Boden der auf Pfeilern ruhenden Veranda steht, und worin er, bis mein zweisilbiger Pfiff ihn aufs äu­ßerste belebte, nach wechselvoll verbrachter Nacht in kurzem Morgenschlummer gelegen haben mag. Die Hütte ist mit Vorhängen aus derbem Stoff versehen und mit Stroh ausgelegt, woher es kommt, daß ein oder der andere Halm in Bauschans obendrein vom Liegen etwas struppigem Fell haftet oder sogar zwischen sei­nen Zehen steckt: ein Anblick, der mich jedesmal an den alten Grafen von Moor erinnert, wie ich ihn einst, in einer Aufführung von höchst akkurater Einbildungs­kraft, dem Hungerturme entsteigen sah, einen Stroh­halm zwischen zwei Trikotzehen seiner armen Füße. Unwillkürlich stelle ich mich seitlich gegen den Her­anstürmenden, in Abwehrpositur, denn seine Schein­absicht, mir zwischen die Füße zu stoßen und mich zu Falle zu bringen, hat unfehlbare Täuschungskraft. Im letzten Augenblick aber und dicht vor dem Anprall weiß er zu bremsen und einzuschwenken, was sowohl für seine körperliche als seine geistige Selbstbeherr­schung zeugt; und nun beginnt er, ohne Laut zu ge­ben – denn er macht einen sparsamen Gebrauch von seiner sonoren und ausdrucksfähigen Stimme -, einen wirren Begrüßungstanz um mich herum zu vollführen, bestehend aus Trampeln, maßlosem Wedeln, das sich nicht auf das hierzu bestimmte Ausdruckswerkzeug des Schwanzes beschränkt, sondern den ganzen Hinter­leib bis zu den Rippen in Mitleidenschaft zieht, ferner einem ringelnden Sichzusammenziehen seines Kör­pers, sowie schnellenden, schleudernden Luftsprüngen nebst Drehungen um die eigene Achse, – Aufführun­gen, die er aber merkwürdigerweise meinen Blicken zu entziehen trachtet, indem er ihren Schauplatz, wie ich mich auch wende, immer auf die entgegengesetzte Seite verlegt. In dem Augenblick jedoch, wo ich mich niederbeuge und die Hand ausstrecke, ist er plötzlich mit einem Sprunge neben mir und steht, die Schulter gegen mein Schienbein gepreßt, wie eine Bildsäule: schräg an mich gelehnt steht er, die starken Pfoten gegen den Boden gestemmt, das Gesicht gegen das meine erhoben, so daß er mir verkehrt und von unten herauf in die Augen blickt, und seine Reglosigkeit, während ich ihm unter halblauten und guten Worten das Schulterblatt klopfe, atmet dieselbe Konzentration und Leidenschaft wie der vorhergegangene Taumel.“

aus: Thomas Mann (o.J.): Herr und Hund. Frankfurt: Bertelsmann. S. 6-7.

„Herr und Hund“ gibt es auch als Hörbuch.

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