Es gibt Hunde, für die ist der Versuch, Verhalten zu formen, Stress. Dazu gehören zum Beispiel ängstliche Hunde, sehr passive Hunde, Hunde, die Kreativität und Eigenständigkeit noch nicht gelernt haben, oder die vielleicht (bei einem früheren Besitzer?) gelernt haben, dass es gerade keine gute Idee ist, Eigeninitiative zu entwickeln oder etwas auszuprobieren. Gerade beim Shapen mit Gegenstand, wie ich es im letzten Post beschrieben habe, kann es auch Hunde geben die Gegenständen gegenüber so skeptisch sind, dass es ihnen nicht gelingt, mit diesen kreativ zu werden. Bevor mir hier orthodoxe Klickerer ans Bein pinkeln aufs Dach steigen: Ich finde, jeder Hund und jeder Hundhalter kann nur gewinnen, wenn sie sich beide das Shapen als Lerntechnik erarbeiten. Aber wir leben nicht in einer idealen Welt, wir alle, Hunde wie Menschen, haben eine Geschichte, eine Prägung, eine genetische Ausstattung (Angst zum Beispiel hat erstaunlich viel mit Genetik zu tun), haben Vorlieben und Abneigungen. Fest steht: Unter (zuviel) Stress kann man nicht lernen, Stress ist ein „Radiergummi fürs Gehirn“ (Nina Miodragovic). Wir wollen daher vermeiden, dass der Hund während unseres Trainings unter Stress gerät. Ein wichtiges Mittel hierzu ist zum Beispiel, die Belohnung gut, aber auch nicht zu gut zu wählen. Ein anderer wichtiger Punkt ist, die Belohnungsrate hoch zu halten, damit der Hund motiviert bleibt und weiß, er ist auf dem richtigen Weg. Ebenso ist es wichtig, sich selbst möglichst normal zu verhalten. Wenn ich stocksteif da stehe, Clicker in der Hand, die Kiste anstarrend, dann reicht das für meinen sensiblen und sehr auf mich bezogenen Hund aus, um deutliche Zeichen von Stress zu zeigen.
Für einen solchen Hund kann die Aufforderung „Mach was“, „denk Dir was aus“ so viel Stress bedeuten wie es für mich als Kind Stress war wenn man mir sagte „erzähl doch auch mal was“. Natürlich erzählen die meisten Kinder gern, und sehr stille, schüchterne Kinder brauchen vielleicht Zuspruch. Aber es hilft nicht, Druck auszuüben. Und meines Erachtens tun wir das beim Shapen. Wir üben einen Druck aus, der den allermeisten Hunden überhaupt nichts ausmacht oder angenehm ist. Aber manchen eben nicht! Das ist so, wie wenn Ihr erst zu F. und dann zu mir sagen würdet: „Die Bühne gehört Dir, die Scheinwerfer sind an, die Zuschauer sind da, hab Spaß, sing was!“. F. würde rauslaufen und eine Show machen und Spaß haben, während das für mich der reinste Alptraum wäre.
Ich mache diesen Punkt hier so ausführlich, weil „Locken“ als eine Form des Helfens eine ganz zweischneidige Sache ist. Wenn es ohne Locken geht, macht es immer ohne Locken! Wenn Euer Hund beim Versuch des Shapens unter Stress gerät, überlegt immer erst, ob Ihr alle wichtigen Punkte beachtet habt. Wenn Ihr Euch entscheidet zu Locken, tut dies so wenig wie möglich und baut es so zügig wie möglich wieder ab. Warum? Weil Locken Lernen verhindern kann.
Ich glaube, ich muss nicht viel dazu sagen, wie Ihr Euren Hund auf den Hocker locken könnt. Achtet bei ängstlichen Hunden nochmal besonders darauf, dass der Hocker sicher steht, nicht wegrutscht und keine komischen Geräusche macht. Führt den Hund mit vor die Nase gehaltenem Leckerli auf den Hocker zu und langsam und vorsichtig so herauf dass er nicht gleich mit einem Satz ganz drauf springt. Passiert das doch, ist es natürlich nicht schlimm und wird bitte nicht korrigiert (=Nein sagen oder gar runterschubsen etc.), sondern Ihr probiert es einfach nochmal.
Aus verschiedenen Gründen ist Habca noch immer unsicher, was Shapen angeht, und gibt sehr schnell auf. Hier füttere ich sie in Position und belohne sie in dieser Position zügig, häufig und hochwertig. Sie hat so Sicherheit gewonnen und kurz darauf diese Position ohne Locken und ohne Signal selbst angeboten. Nach einem oder mehreren solchen Lockaktionen nimmt sie die neue Haltung dann auch in ihr Repertoire auf, das sie mir beim Shapen anbietet.
Noch eine Bemerkung zum Helfen, weil das gerade beim Clickern für viele ein Problem ist.
Wenn wir Shapen passiert es schnell, dass Habca – trotz hochwertiger Belohnung! – die Mitarbeit einstellt. Sie setzt oder legt sich hin und schaut mich unverwandt an. Das ist ein Verhalten, das viele Hunde zeigen, und häufig mit Erfolg! Es führt nämlich ganz oft dazu, dass Mami dem armen ratlosen Hundchen hilft. Wenn Habca ein Problem hat, dann kommt sie zu mir, setzt sich vor mich hin, starrt mich an und bellt vielleicht noch. Und warum? Weil sie weiß, dass ich ihr helfe. Wenn Ihr der Ball untern Schrank gekullert ist oder ihr jemand was will. Das ist auch gut so, denn als reaktivem Hund habe ich ihr mühsam beigebracht, dass sie sich um die meisten Dinge nicht selber kümmern muss, sondern ich ihr helfe. Aber manchmal, nachdem sie mich so aufgefordert hat, ihr zu helfen, sehe ich, dass sie zum Beispiel an ihren Ball sehr wohl auch selbst dran käme. Das ist die andere Seite der Medaille! Ohne Hundeverhalten vermenschlichen zu wollen: stellt Euch bitte nochmal Eure kleine Tochter vor. Wenn Sie an Ihre Jacke nicht dran kommt oder ein fremder Mann sie bedroht, kommt sie angelaufen und sagt „Mama, hilf mir!“ Aber was wenn sie plötzlich kommt weil ihr die Matheaufgaben zu schwer sind? Was wenn sie „hilf mir“ sagt damit ihr ihr das runtergefallene Kuscheltier aufhebt? Was passiert, wenn wir immer und immer helfen? Das Kind/ der Hund lernt: Ich muss mich gar nicht selber anstrengen, Mami wird das schon regeln. Helfen kann Lernen verhindern! Wenn ich den Hund immer mit Leckerchen dahin locke, wo ich ihn haben will, *kann* er nicht lernen sich neue Positionen selbst zu erarbeiten. Er wird beim nächsten Versuch wieder vor der Kiste stehen und sagen „Mama hilf mir“. Und allzuviele Hundemuttis sind allzu schnell bereit das zu tun. Bevor ich so viel darüber nachgedacht habe, war mir Habcas Reaktivität und eine starke Bindung immer das wichtigste, also habe ich viel geholfen und mich immer gefreut, wenn sie um Hilfe gefragt hat. Jetzt mache ich es so: Wenn ich sehe, dass sie das Problem selber lösen kann, dann sage ich ruhig und freundlich „Das kannst Du selbst“, und warte. Entweder sie schafft es, oder der Ball bleibt tatsächlich in der ach so unerreichbaren Ecke liegen.
Beim Shaping will ich aber ja, dass etwas passiert. Ich will die Belohnungsrate hochhalten. Wenn sie sich nun hinlegt und gar nix macht, ist das schwer! Das wichtigste mit solchen Mami-mach-Du-mal-Hunden ist, in Bewegung zu bleiben. Ich gehe immer wieder mit Habca auf die Kiste zu. Schon kann ich die Annäherung clicken! Shapen heisst meines Erachtens nicht, den Hund total in der Luft hängen zu lassen. Deshalb kann Locken bei manchen Hunden das Mittel der Wahl sein. Nur muss man es dann eben wieder abbauen.
So, jetzt stehen alle Hunde die mitmachen mit den Vorderbeinen auf ihren Kisten, oder? Ich stelle trotzdem noch eine Möglichkeit vor, den Hund dahinzukriegen, vielleicht gibt es ja doch noch einen Nachzügler, oder jemanden, der jetzt sagt, mmh, eigentlich ist mein Hund vielleicht schon einer, der Locken brauchen könnte, aber bei all den Nachteilen will ich das nicht machen. Es gibt nämlich eine Methode, Formen und Locken clever zu verbinden: Das Targettraining.
Den sanften Zwang habe ich nicht vergessen, aber wir wollen den Hund jetzt nicht bedrängen. Im nächsten Trainingsschritt komme ich darauf zurück.