Rike wurde am 29. Juni geboren. Rikes Mutter hat die Geburt problemlos und ohne Tierarzt hingekriegt – auch dass der Optimalfall. Sie hat einen älteren und einen jüngeren Bruder. Wurfgeschwister zu haben, ist von Anfang an wichtig: die Welpen entwickeln sich motorisch besser, krabbeln übereinander, und üben später Sozialverhalten. Einzel“kind“Welpen bedürfen besonders kompetenter Förderung durch den Züchter. Zu viele Wurfgeschwister ist aber auch nicht so gut, da von Anfang an viel Konkurrenz um die Zitzen, die Milch und die Fürsorge der Mutter besteht.
Geboren werden Hundebabys blind und taub. Die Hündin leckt sie trocken, und regt dabei die Durchblutung an. Die Babies erschnuppern sofort den Weg zur Zitze und docken an. Ihre Mutter hilft und schubst. In den ersten zwei Wochen ist das ihre ganze Beschäftigung: saugen und schlafen. Mama massiert die Bäuchlein mit der Zunge und leckt ihre Ausscheidungen auf. Rikes Mama ist immer nur ganz kurz spazieren und fressen gegangen, und schnell zu den Babies zurück gerannt. Sie hat alle drei viel beleckt.
Nach gut einer Woche gingen die Augen der Kleinen auf. Vom behüteten Schlafzimmer zogen sie bald darauf um in ein Wellengehege im Wohnzimmer. Von nun an bekamen sie alles mit: die Geräusche, Gerüche und Abläufe eines „normalen“ Familienalltags. Verschiedene Bodenuntergründe. Sie begannen zu laufen, zu hopsen, zu klettern – anfangs ganz ungelenk und mit viel Umfallen, dann immer besser. Sie probierten ihre Stimmen aus. Sie begannen, miteinander zu spielen. Mit etwa fünf Wochen frassen sie zusätzlich zur Muttermilch rohes Fleisch, und probierten dies und das aus Mamas Napf. Was ein Hund später mag, entscheidet sich schon während der Trächtigkeit und in diesen ersten Wochen beim Züchter! Deshalb macht es Sinn, den Welpen vieles Verschiedenes anzubieten.
Ende Juli eroberten die drei Racker zusätzlich den Garten der Züchter. Hier hatten sie Aussichtsplattformen, ein Wackelbrett und eine Hängebrücke, verschiedene Bodenuntergründe undHundeboxen. Sie bekamen Zähne, und kauten auf allem Erreichbarem herum. Sie hatten Kontakt zu den Schäferhunden der Familie, sie besuchten einen Kindergarten, einen Hundeplatz, einen Tierarzt, und lernten viele verschiedene Hunde und Menschen kennen. Auch der Vater der Welpen besuchte sie zweimal, und spielte mit ihnen. Übrigens: Natürlich waren die Babies bei diesen Kontakten noch nicht vollständig geimpft! Aber: mangelnde soziale Erfahrung ist meiner Ansicht nach ein viel größeres Risiko, als das Risiko, sich bei diesen Kontakten mit einer gefährlichen Krankheit anzustecken!
Etwa ab der 5. Lebenswoche und nur bis zur 12. Lebenswoche lernt ein Hund, wer und was zu seinen Artgenossen zählt („Artgenossenprägung“), das heißt, jetzt muss er viele positive Erfahrungen mit Hunden und Menschen („Pseudoartgenossen“), gegebenenfalls auch Katzen oder Kleintieren machen.
Ries Züchterin und ich hatten keinen festen Umzugstermin für Rike ausgemacht, wir hatten den Luxus, zu schauen, wann es für sie und uns passt. Acht Wochen ist ein Standard-Abgabe-Alter. Viele Kleinhundzüchter geben die Welpen erst mit zehn Wochen ab, und auf Märkten oder sonstwie illegal erworbene Welpen sind oft jünger als acht Wochen. Das halte ich für den Optimalfall: individuell zu schauen, wann ein guter Zeitpunkt für den Umzug ist, und zugleich vorher einen gewissen Bezug zum neuen Besitzer ermöglichen.
Einerseits soll der Welpe so früh wie möglich umziehen: bei allen Bemühungen kann ein Züchter den Einzelnen doch nicht so intensiv und individuell fördern wie der zukünftige Besitzer, und was er für sein zukünftiges Leben braucht, kann der Welpe am besten im neuen Zuhause lernen. Die Zeitfenster, in denen er alles als naturgegeben auffasst, und sehr wenig Angst hat, sind kurz!
Andererseits soll der Welpe so lange, wie es ihm gut tut, bei Mutter und Geschwistern bleiben. Wichtige Teile der „Hundesprache“, zum Beispiel die „Beschwichtigungssignale“ (Calming Signals), erlernt er im Kontakt mit ihnen. Die Pflege der Mutter stärkt Körper und Geist des kleinen Hundes, und die Mutter als „sicheren Hafen“ zu haben, lässt alle Aufregung schnell vergessen. Ich fand das schön zu beobachten, wie die Babies dann zu der Hündin rannten und schnell ein bisschen Milch tranken.
Und noch etwas sollte man beim Festsetzen des Abgaszeitpunkts beachten: oft ist gerade die neunte Woche ungünstig, weil zwischen der 8. und 10. Lebenswoche häufig eine Angstphase auftritt. Genau dann umzuziehen, wäre blöd.
Bei Rike und ihren Geschwistern waren die Veränderungen Tag für Tag groß: mal hatte einer etwas mehr Angst vor etwas, dann der andere. Mal war einer besonders vorwitzig, mal ein anderer. Auffällig und schön fand ich, dass die Babies viel schliefen. Sie schliefen in allen Situationen und zu allen Gelegenheiten. Alle drei wirkten unheimlich entspannt. Schon aufgeschlossen, abenteuerlustig – aber viele, viele Stunden, auch wenn ich zu Besuch war, pennten sie einfach.
Gegen das allzu lange Verbleiben im Geschwisterverband spricht, dass man mit den Geschwistern zwar intensiv spielen und sich ausprobieren kann, sich aber manches Mal gerade unter Geschwistern, wenn sie älter werden, auch ein arg rauer „Umgangston“ entwickelt, den man eigentlich nicht gefördert sehen will. Es ist gar nicht so leicht, sorgfältig und ehrlich zu prüfen: was lernt das Baby da? Ist das ein „guter Umgang“?
Rike ist letztlich am 25. August, mit ziemlich genau acht Wochen also, zu uns gezogen. Ich hatte noch überlegt, ob sie schrittweise umziehen soll, ob ich ihr vorher schon unser Haus zeige. Dann war aber noch so viel zu tun, Kindergitter hier, Kabel wegräumen da, Sachen kaufen, Haus einrichten… Habca hatte die Welpen in der achten Woche besucht – und fand sie ein wenig lästig und unerzogen…
Tja, und dann war Rike da, und sie tat, als wäre es das selbstverständlichste von der Welt. Sie inspizierte ihr neues Zuhause und befand es für gut. Sie überredete Habca am zweiten Tag zum Spielen. Sie machte keine Sekunde den Eindruck, als würde sie ihre Mama, ihre Geschwister oder das alte Zuhause vermissen! Vom ersten Moment an war sie völlig ausgeglichen, entspannt, zufrieden. Sie liebte meinen Mann vom ersten Moment an, und lief uns beiden ständig nach. Sie fraß und pinkelte und kackte, als wäre es das normalste von der Welt. Wir schauten zu und staunten, und versuchten, uns normal zu verhalten, und dabei so viele Handyfotos wie möglich zu machen.
Rikes erste Tage sind kein Vergleich zu Habcas schwierigen ersten Tagen bei uns (sie ist erst mit 16 Wochen umgezogen), und kein Vergleich zu den vielen Welpen, die ich als Hundetrainerin kennen lerne. Rike ist eine coole Socke.