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Ich danke dem GU-Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars.

3467_Macho_Mimose_UM.indd.pdf, page 1 @ Preflight

Hunde sind individuell unterschiedlich. So banal das klingt – für jeden, der mit Hunden zu tun hat – sobald es um Erziehung, Beziehung, Verhalten oder gar Verhaltensprobleme geht, wird das schnell vergessen. Ein „Rezept“ soll für alle Hunde funktionieren. 

Aber gerade jetzt finde ich es toll und wichtig, dass ein Wissenschaftler und Autor sich an die Individualität des Hundes herantraut: Gerade jetzt, wo ominöse „Rollen“-Modelle durch Fernsehen und Internet geistern, und die Bedeutung von Genetik für den einzelnen Hund nicht nur überbetont wird, sondern das auch frei von jeder Vorstellung davon wie Genetik und Vererbung überhaupt funktionieren könnte.

Gerade jetzt also ist das Buch „Macho oder Mimose – So erkennen Sie die Persönlichkeit Ihres Hundes und schaffen eine innige Bindung“ von Immanuel Birmelin erschienen: es berichtet von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Hund, die zeigen, dass Hunde individuell unterschiedliche Fähigkeiten und Bedürfnisse haben. Zugrunde liegt ein modernes Bild des Hundes, jenseits vom Dominanzkonzept und menschlichem Singularitätswahn. Hunde sind Säugetiere mit Säugetiergehirn wie wir, also: „selbstverständlich haben Tiere Gefühle“ (S. 61), natürlich können Hunde Stimmungsschwankungen ahben, und wir vergeben uns nichts, darauf Rücksicht zu nehmen. Sowieso ist Respekt vor dem Hund ein Anliegen dieses Buches: „Mit diesem Wissen fällt uns der Perspektivenwechsel leichter, die Welt auch mit den Augen des Hundes zu sehen, zu verstehen und zu respektieren. Und das ist die Basis, auf der jede gute Erziehung aufbauen soll.“ (122)

Worin liegen sie nun, die individuellen Unterschiede zwischen Hunden? Birmelin steigt locker ein, mit Geschichten über seine Hunde (überwiegend Bernhardiner), und der Frage, was wir unter „Persönlichkeit“ verstehen wollen. Aber auch wenn es inhaltlich anspruchsvoll wird, bleibt das Buch gut lesbar: Kapitel zwei erklärt, dass Persönlichkeit im Gehirn entstehe, und wie so ein Gehirn aufgebaut ist und funktioniert. Eine Box „Wissen kompakt“ erklärt in jedem Kapitel in Lexikonform die wenigen Fachbegriffe, die im Text vorkommen. Und durch kleine Tests á la BRIGITTE kann man seinen eigenen Hund gleich einer der jeweils vorgestellten Richtungen zuordnen. Manchmal ist das nicht so furchtbar hilfreich (im „großen Persönlichkeitstest“ erfährt man, dass ein Hund der Angst zeigt, Angst hat), aber es aktiviert den Leser immer wieder, und das ist genauso angenehm wie die eingestreuten Geschichten über Irmelins Bernhardiner Wisla, Robby und Balu, die durchs Buch begleiten, oder die „Tipps & Tricks“- Boxen am Textrand, die z.B. die Erlaubnis geben, sich beim Nachhausekommen mit dem Hund mitzufreuen (70).

Kapitel 3 erklärt den Einfluss von Genen und Umwelt, und die Epigenetik quasi als Bindeglied zwischen beidem. Hey, das ist das erste Hundebuch in dem ich von meinem Lieblingsthema Epigenetik lese! Erbe und Umwelt beeinflussen den Hund (wie den Menschen), und das ist ein so komplexer Vorgang, dass er auch zu individuellen Unterschieden führt.

Wo liegen noch Unterschiede zwischen Hunden begründet? In den Gefühlen (Kapitel 4), und im Lernen (Kapitel 5), aber auch schon in der Wahrnehmung (Kapitel 6): Signale in der welt werden unterschiedlich wahrgenommen, dann unterschiedlich (vom Gehirn) verarbeitet, und verändern dabei das Gehirn, das gelernt hat, und auf zukünftige Signale wieder anders reagiert. Wahrnehmung ist kein passiver Vorgang – auch das eins meiner Lieblingsthemen aus der Philosophie! Und dabei entsteht Persönlichkeit… (110).

Es  überrascht jetzt nicht mehr, dass Irmelin die Frage „Können Tiere denken?“ (Kapitel 7) bejaht, aber auch ausdifferenziert: es gibt verschiedene Formen von Denkvermögen und Intelligenz. Hier gibt es besonders viele Tests zum Nachmachen. Á propos Nachmachen: Dass Hunde durch Nachmachen lernen können wird natürlich auch erläutert (166ff), aber auch die Frage ob sie zählen können, was sie von Physik verstehen, und warum Denken überhaupt sinnvoll sein könnte.

Kapitel 8 beschreibt sehr konkret anhand des Einzugs eines Welpen, wie man im Zusammenleben („Erziehung“ wäre hier zu kurz gegriffen, finde ich) auf die Persönlichkeit des Hundes eingehen kann und sollte. Bei einem Experten als Welpe einziehen, das erinnert mich an Bücher wie The Baby in the mirror, und finde ich ein ganz spannendes Projekt, das man noch ausbauen könnte.

Das letzte Kapitel widmet sich der Frage „Was weiß ein Hund von sich?“, zum Beispiel: weiß ein Hund, dass er einen Namen hat? Allein mit dieser Frage konnte ich kürzlich die Passagiere in meinem Auto für eine lange Hin- und Rückfahrt beschäftigen. Dieser Effekt des Buches ist nämlich auch nicht zu verachten: es ist absolut partytauglich, ein conversation starter, man ist ständig versucht, Sätze mit „da gibts doch eine Studie…“ anzufangen. Um so dankbarer bin ich, dass Irmelin kein reines „da gibts doch eine Studie“- Buch geschrieben hat, sondern im Thema „Individualität“ nicht bloß einen Aufhänger gefunden hat, sondern tatsächlich einem Mehrwert, einen zusätzlichen Gewinn, aus den Studien zieht.

Ein wichtiges Buch, und ein schönes, im Sinne von: hübsches Buch. Das Thema ist ja nicht leicht zu bebildern, und obwohl es mich manchmal nervt, wenn Bilder keinen Mehrwert bringen, so sehe ich hier doch ein, dass die teils schwierigen Themen so mit einer sehr niedrigen Hemmschwelle angeboten werden. Das Buch lädt zum Blättern, Querlesen, Stöbern ein. Eine Sache stört mich aber doch: ich mag den Titel nicht. Macho oder Mimose? Also bitte. Da hilft es nur ein bisschen, dass am Ende noch das Unterkapitel „In jedem Macho steckt eine Mimose“ kommt. Aber, liebe Leser, macht nicht den Fehler, den ich aufgrund des Titels gemacht hätte, und lasst das Buch links liegen: Es ist wichtig, ich glaube sogar es enthält mehr Sprengstoff, als auf den ersten Blick klar wird.

 

 

Immanuel Birmelin

Macho oder Mimose

So erkennen Sie die Persönlichkeit Ihres Hundes und schaffen eine innige Bindung

Reihe: GU Tier Spezial. 240 Seiten, mit ca. 150 Farbfotos. Format: 17 x 23,5 cm, Softcover mit Klappen. Preis: 19,99 € (D) / 20,60 € (A) / 28,90 sFr

ISBN: 978-3-8338-3467-7

Erscheinungstermin: 3. März 2014