In blog, Hundepsychologie, Hundetraining, Mantrailing, Mensch-Hund-Beziehung, Philosophisches zu Hunden, Tierphilosophie, Tierpsychologie, Verhaltensforschung

Vor vielen, vielen Jahren, als noch kein Denken daran war, dass ich einmal einen Hund haben würde, geschweige denn, Hunde trainieren, als ich gerade unglücklich war, und mein Medizinstudium nach drei Semestern abgebrochen hatte – da las ich in der „Max Planck Forschung“ einen Artikel über ein Open-Access-Projekt für wissenschaftliche Quellen (ECHO), und ich schrieb dem Autor, dass ich das ziemlich cool fand, und dass ich gerade dabei war, nach Berlin zu ziehen, um Wissenschaftsgeschichte (und Philosophie und Kulturwissenschaft) zu studieren.

Wenig später, in Köln, wo ich noch wohnte, bei dm auf dem Lindenthalgürtel, klingelte mein noch nicht-so-selbstverständliches Handy, und eine Frau Schröter fragte, ob ich am nächsten Tag ins Max-Planck-Institut in Berlin kommen könne – der Autor wolle mich sprechen.

Ich traf ihn noch während unseres Umzugs nach Berlin, in seinem Eckbüro in der ehemaligen tschechischen Botschaft in Berlin, ein Gebäude wie ein UFO,  im „brutalistischen Stil“ gebaut.  Jeder freie Zentimeter lag voller Akten, Papiere, Bücher, ich begriff erst jetzt, dass der Autor, der mich voller Enthusiasmus anstrahlte, der Direktor des Max-Planck-Instituts war, und dass er mir gerade einen Job anbot. Weder er noch ich wussten genau, was ich machen sollte – ich denke, es hatte ihm einfach gefallen, dass ich ihm geschrieben hatte und dass mich das Projekt interessierte. Er sah in mir etwas, was er fördern wollte.

 
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Ich arbeitete mein ganzes Studium dort: ich half im Sekretariat, organisierte Konferenzen mit, besorgte Catering oder las ein Jahr lang alle Briefe, die Albert Einstein geschrieben hat, und erstellte eine Datenbank dazu. Ich half bei der Publikation von Büchern, recherchierte vor Podiumsdiskussionen, an denen der Chef teilnahm, lernte die ausländischen Gäste kennen, schrieb an Forschungsanträgen mit, sprach mit Kindern über Wunder, sortierte das Archiv neu, zog mit dem Institut aus der Innenstadt nach Dahlem. Ich war mittendrin, da, wo Wissenschaft passierte. Ein Max-Planck-Institut ist etwas ganz anderes als Uni (vor allem Uni heute): den Wissenschaftlern wird möglichst viel Alltagskram abgenommen und Freiheit gegeben, damit sie das tun können, was sie gut können. Damit sie denken und lesen und miteinander reden und schreiben. Natürlich gab es auch jede Menge Streit und weitergereichten Druck und Sachen, die schief gingen. Aber es schien immer hindurch, um was es eigentlich ging: An einen Spitzenforscher zu glauben, ihm bestmögliche Bedingungen, freie Mitarbeiterauswahl und gewisse finanzielle Freiheit zu verschaffen, und zu schauen, was passiert.

Auf einer viel kleineren Ebene hat dieser Spitzenforscher das an mich weitergegeben: er hat an mich geglaubt, noch bevor ich das Studium seines Fachs überhaupt angefangen hatte, er hat mir einen Job gegeben, durch den ich nicht nur   finanzielle Freiheit bekam, sondern auch Zugang zu großartigen Wissenschaftlern, einer großartigen Bibliothek, Online-Quellen, und die Erlaubnis, das alles für mich und meine eigenen Ideen zu nutzen.

Für mich war das ein so prägendes Erlebnis, dass ich es bis heute als Leitlinie für mein eigenes Handeln sehe. Auch und gerade in dieser ganz anderen Welt des Hundetrainings:

  • Wissen über Hundetraining wird „proprietär“ gehandelt, das heißt, man muss es kaufen. Alle Hundetrainer, die irgendeine Form von Ausbildung haben, haben sich diese für ein paar Tausend Euro gekauft. Das ist meines Erachtens der Grund, dass sie ihr Wissen eifersüchtig hüten, und keinesfalls kostenfrei weitergeben wollen. Wir haben Praktika bezahlt – logisch, dass unsere Praktikanten auch zahlen sollen für das, was sie sehen und lernen. Ich habe in der Max-Planck-Gesellschaft gelernt: Wissen sollte für alle Menschen frei und kostenlos zugänglich sein. (Mehr dazu in der „Berliner Erklärung“ der MPG). Ich nehme Praktikanten kostenfrei, ich teile mein Wissen im Internet, ich rede offen mit Kollegen, und ich halte nichts davon, sich Trainingstechniken oder Hunde-Beschäftigungs-Ideen schützen zu lassen, damit nur ja niemand das macht, ohne mir dafür Geld abzugeben. Ja, das ist in der Hundewelt gang und gäbe! Aber es gibt auch und immer mehr die andere Entwicklung: kostenlose Online-Tutorials, Youtube-Trainingsfilme, Qualitäts-Blogs.
  • Ich gebe Menschen, in denen ich etwas sehe, Chancen. Ob das die viel zu junge Praktikantin ist, oder der Kunde mit schwierigem Hund und schwierigem Leben und ohne Geld für Training, der sich aber traut, mich anzuschreiben. Ich bin davon überzeugt, dass schon die Botschaft „ich glaube an dich“ viel bewegt. Ja, ich habe mittlerweile heftige Enttäuschungen hinnehmen müssen – bis hin zu schlimmem Stalking durch genau den Kunden, den ich kostenlos so unterstützt habe. Ich weigere mich, daraus zu lernen. Es gibt nicht immer das erwünschte Ergebnis. Richtig finde ich es trotzdem, so zu handeln – weil auch mir einmal jemand eine Chance gegeben hat.
  • ich mag Kooperationen und Projekte, auch die, die anfangs abwegig klingen. Ich bin überzeugt, dass ich von jedem etwas lernen kann. Ich mag es, in fremde Welten einzutauchen. Mit meinen Hunden eine anti-autoritäre Schule ohne feste Klassen und bedrückende Autoritätspersonen zu besuchen, finde ich viel spannender, als „normaler“ Schulhund in einer stillen Kindergruppe zu werden. Ja, vielleicht trifft man unter meinen Kunden, Mitarbeitern, Freunden, Helfern, Praktikanten, ein paar mehr abseitige, un-normale, verwirrende Menschen als in anderen Hundeschulen. Ich finde das toll! Ich freue mich über Kooperationen mit Institutionen, die eigentlich mit Hunden und Hundetraining gar nichts am Hut haben, seien es Führungen für den Regionalpark, sei es, die Historiker der Saalburg dazu anzustiften, über Hundehaltung in der Antike nachzudenken, mit Stadthistorikern die Spuren frühneuzeitlicher Hundehaltung in Frankfurt zu suchen, oder mit Pädagogen Möglichkeiten und Grenzen des Vergleichs von Hundeerziehung mit Kindererziehung auszuloten.  
  • Es ist für mich nicht leicht, zu sehen, wie selbstverständlich eine Person, die ich sehr mag, ihrem Hund ein Stachelhalsband anzieht. Aber es heißt weder, dass ich sie nicht mögen könnte, noch, dass ich ihr mal „Stachelhalsband gegen Training“ anbieten sollte, weil ich alles so viel besser weiß. Sie sagt „Trieb“, wo ich „Motivationslage“ oder „seeking system“ oder wasweißich sagen würde – wie spannend! Sachen falsch finden können, und sich trotzdem respektieren und miteinander reden können – ja, das ist schwierig, aber das ist auch Voraussetzung für wissenschaftlichen Fortschritt! 
  •  Á propos „wissenschaftlicher Fortschritt“: ich habe kein Problem damit, zuzugeben, dass ich ganz schön viel über Hunde nicht weiß. Das liegt nämlich nicht an meiner Ignoranz, sondern daran, dass vieles noch gar nicht erforscht ist, und/ oder so vielen Variablen unterliegt, dass es auch kaum zu erforschen ist. Warum Ihr Hund jetzt und hier an Ihrem Bein aufreitet oder warum die Hündin immer „drübermarkiert“? Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich kann einen Haufen Vermutungen anstellen, und ich kann Ihnen auch sagen, welche Begründung ich für sehr unwahrscheinlich halte (fängt mit „D“ an und hört mit „nanz“ auf). Aber ich kann Ihnen nicht „die Wahrheit“ sagen. Ich kann nicht in den Kopf Ihres Hundes gucken. Ich kann auch beim Mantrailen nicht mit Sicherheit sagen, warum der Hund jetzt und hier rechts abgebogen ist, obwohl die Spur doch links ist. Ich kann Vermutungen anstellen, ja. Aber diese Hundetrainerinnen, die immer alles ganz genau wissen, die sind mir suspekt. Die kennen wahrscheinlich auch die eine, einzig richtige, immer funktionierende Technik um dem Hund Leinenführigkeit beizubringen. ;-)    

 
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PS: Mein nächstes abwegiges Experiment mit viel Glauben an Menschen startet bald…

          

 

 

 

Comments
  • Petra

    Intensiever Text – gern gelesen. Toll, welche MÖglichkeiten das Leben, auch trotz schlechten Erfahrungen, mitbringen kann. Ich fühle beim Thema Stalking mit Dir, und hoffe, dass das vorbei ist!
    Und so toll, dass Du all Dein Wissen teist, ob in Deinem Blog oder im Training. Man lernt immer etwas dazu.
    Auf bald liebe Miriam.

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