In Aggression, Agility, Angst, Clickertraining, Control Unleashed-Programm ("Stressfrei"), Entspannungstraining, Habca, Hund im Stress, Hunde im Markgräfler Land, Hunde-Bücher/ Hundezeitschriften, Hundeerziehung, Hundephilosophin, Hundepsychologie, Hundeschule, Hundesport, Hundetraining, Meine Hundebibliothek, Reaktivität, Tibetterrier, Trainingstechnik, Welpen

 

Wer meine Tibeterin Habca heute kennt oder in den letzten Jahren kennen gelernt hat, kann sich kaum vorstellen, wie sie mal war: Als Welpe einer ohnehin „Fremden/m gegenüber skeptischen Rasse“ kaum sozialisiert, schrie sie, wenn sie andere Hunde sah, erschrak vor jeder Veränderung, vor vielen Bewegungen, Menschen. Wir gingen in „normale“ Hundeschulen, da flog schonmal ein Schlüsselbund (jaja, nur neben den Hund), und wenn der Hund nicht machte, was Mensch sagte, wurde das eben „durchgesetzt“. Als Junghund begann sie ziemlich plötzlich (aus meiner damaligen Laien-Perspektive) „nach vorne“ zu gehen. Ich war mit ihr am Wannsee zum Baden, in dieser Berliner Hundewelt in der (damals zumindest) alle überall ohne Leine rumliefen, und sie lief zu einem Mann, der uns entgegenkam, während ich mir auf einer Bank die Schuhe anzog, und bellte ihn an. Der, naja, sagen wir: drohte zurück, rief, er würde die Polizei rufen. Ich hechtete um ihn herum, im Versuch, das wütende Hündchen zu fangen, und war ziemlich verzweifelt und erschrocken.

Manchmal wünschte ich, ich könnte mit meinem heutigen Wissen und Können die damalige Miriam und ihre Habca beraten!

Die Hundetrainer, die ich zurate zog, hatten einige Theorien: dominant sei der Hund, natürlich. Wesensschwach (das Urteil beruhte darauf, dass die Hundetrainer uns im Wald entgegenlief und auf unserer Höhe einen Ausfallschritt auf uns zu machen, worauf wir beide ziemlich erschraken). Oder vielleicht taub (das hatte irgendwie damit zu tun, dass ich in den Wald gehen sollte, während die Trainerin den noch echt jungen Hund festhielt, und dann sollte ich rufen, aber sie geriet stattdessen in Panik). Nunja.

Zum Glück entdeckte ich ziemlich bald das Buch Control Unleashed von Leslie McDevitt, ich weiß nicht mehr, über welche Kanäle. Das war da gerade recht neu erschienen (2007), und von reaktiven Hunden hatte man in Deutschland noch nicht wirklich gehört. Ich las es immer auf dem Weg zu einem Agility-Kurs, den ich mit Habca in Berlin machte, auf der langen S-Bahnfahrt.

Dieses Buch hat mir die Welt des behavioralen Hundetrainings geöffnet. Hier begriff ich zum ersten Mal, das Hundetraining was mit Wissenschaft zu tun hat. Dass es darum geht, an Verhalten zu arbeiten, und nicht, den Hund von Grund auf zu ändern, zu unterwerfen oder ihm psychologische Charakteristika zuzuschreiben (dominant, stur, faul…) und die dann in mehr oder weniger dubiosen Therapien ändern zu wollen („häusliches Programm“ & Co.).

Dieses Buch stellt Konzepte bereit, um dem reaktiven Hund zu erklären, wie er mit Dingen, die ihn ängstigen oder wütend machen, umgehen kann.

Ein reaktiver Hund ist, etwas vereinfacht gesagt, ein Hund, der schnell auf alles mögliche reagiert. Ein Hund, der leicht ablenkbar ist, schnell gestresst, ängstlich oder aggressiv reagiert. Ich verstand, dass das mit Stress zu tun, dass Stress sich summiert, dass man ihn aber auch abbauen kann. Ob es um die Gegenwart anderer Hunde geht, um fliegende Bälle oder schnelle Bewegungen. Und dabei wird der Hund nicht „in Watte gepackt“, sondern er darf und soll sich seine Auslöser anschauen – und dann wieder beim Menschen einchecken. Das Buch hatte ursprünglich den Sinn, Kursteilnehmer auf Agilitykurse vorzubereiten, wenn die Hunde Schwierigkeiten haben, anderen Hunden beim Rennen, Spielen und bellen zuzuschauen.

Daher kommt auch die Zielsetzung, das alles am liebsten ohne Leine zu schaffen.

Es geht weder um „Gehorsam“, noch geht es darum, ob der Hund „schlecht“, „böse“ oder sonstwas ist. Control Unleashed ist ein strikt behaviorales Programm, es geht um Verhalten, und wie man das ändern kann. Es geht darum, mit Stressleveln spielen zu lernen. Sich selbst und den Hund rauf und runter regulieren zu können. Den Hund zu schützen, soweit nötig, und zu verstehen, dass und warum er diesen Schutz braucht – und auch ihm Werkzeuge an die Hand (die Pfote?) zu geben, was er machen kann, wenn er ein Problem hat.

Ich lernte über Desensibilisierung und Gegenkonditionierung, über den Unterschied von Management und Training, über operante Konditionierung und Training mit dem Klicker, Entspannungsübungen, das Premack-Prinzip, wie nützlich Default-Verhalten sind, über verschiedene Targets, Doggie Zen und „Look at that“, über Reorientierungsverhalten an Durchgängen und Reaktionsschwellen, über das An- und Ableinen und wie man dem Hund einen Rahmen vorgibt, und damit Gefühle ändert. Control Unleashed war für mich ein Türöffner, ein Startpunkt, von dem aus ich über all das immer mehr und mehr las und lernte, und schließlich zur Hundetrainerin wurde.

Ich habe eine Menge Tools aus diesem Buch gelernt, mit Habca umgesetzt, und viele davon dann in meinen Traineralltag mitgenommen. 2011 habe ich zum ersten Mal einen Kurs gegeben, der sich an diesem Buch orientierte (eine der Teilnehmerinnen war Nomi, die zwei Jahre später meine Hündin wurde).

2012 erschien es endlich auf deutsch, unter dem klug gewählten Titel „Stressfrei über alle Hürden“.

Mittlerweile gibt es noch ein CU Welpenprogramm, das ich natürlich auch mit Rike gemacht habe, und das verhindern soll, das überhaupt erst Probleme entstehen. Auch hier habe ich einige kluge Ideen mitgenommen. Lange Bretagneferien verbrachte ich mal damit, jeden Abend DVDs mit einer Aufzeichnung von einem CU-Seminar mit Leslie McDevitt zu schauen. Jetzt gibt es einen dritten Band, den ich tatsächlich noch nicht kenne. Und es gibt „Ableger“ z. B. von Emma Parsons, Reliability for Reactive Dogs with Control Unleashed Exercises.

Alles zu Control Unleashed könnt ihr auf der CU-Website nachlesen, aber wenn ihr einen „schwierigen“ Hund habt, gibt es eigentlich nur eins: Lest dieses Buch.

Ich freue mich währenddessen, dass ich im September wieder einen CU-Kurs geben darf. Es sind noch Plätze frei (bei Freiburg im Breisgau)!

 

„CU IS […] ABOUT HANDLERS AND THEIR DOGS FINDING THAT SPACE WHERE THEY CONNECT WITH EACH OTHER AS A TRUE TEAM. IT IS ABOUT AWARENESS, RESPECT, AND HONORING INDIVIDUAL DIFFERENCES.“

Leslie Mc Devitt, Control Unleashed S. 33.