Ich habe Euch einiges darüber aufgeschrieben, was ich unter „wissenschaftlich fundiertem“ Hundetraining verstehe, und will noch was ergänzen.
Wahrscheinlich fällt es euch sogar als erstes ein, wenn ihr „wissenschaftlich fundiert“ lest: da will jemand sagen, er „kennt sich aus“, er hat aktuelle und relevante Sachen gelesen. Oder?
Ich habe ja Philosophie studiert (ja, auch abgeschlossen). Das heißt nicht, dass ich alles über Philosophie weiß. Ich würde sagen, es heißt:
1. dass ich einen historischen Überblick habe, wer wann was philosophisch wichtiges geschrieben hat, wer wen beeinflusst hat – das heißt, wenn man mir zum Beispiel einen philosophischen Autor nennt, den ich kenne, kann ich ihn in seiner Zeit ungefähr einordnen. Und wenn man mir ein Problem nennt, sagen wir „Verstehen: was heißt das überhaupt?“, dann kann ich was dazu sagen, wer da wann schonmal drüber nachgedacht hat, und worauf die so gekommen sind
2. dass ich einen methodischen Überblick habe: ich habe gelernt, wie man über philosophische Probleme nachdenken kann. Wie verschiedene Leute sowas anfangen, was es für Ansätze gibt, dass man auf die Logik des Ganzen achten sollte, sowas. Dazu gehört auch: dass ich weiß, wo ich nachschauen oder wen ich fragen kann, wenn ich etwas nicht weiß, oder nicht komme. Das ist dann eher nicht Google oder Facebook oder Wikipedia. (Was nicht heißt, dass die nicht auch interessante Ausgangspunkte sein können.)
3. dass ich gelernt habe, wem man was glauben kann oder sollte: Im Idealfall niemandem nichts, was man nicht selbst überprüft hat, aber so kann man ja nicht leben. Der Ausweg, dann eben Autoritäten, auch „Experten“ genannt, zu glauben, ist und bleibt gefährlich, und zusätzlich wird es immer schwerer zu erkennen, wer ein Experte ist. Der mit dem Doktortitel oder der mit den meisten Social Media- Likes? Der größten Reichweite, dem richtigen Verlag? Die Bewertungsmaßstäbe ändern sich, was auch an sich nicht schlimm ist – ich glaube, was wir mehr denn je brauchen, ist die Fähigkeit, selbst zu denken. Kritisch zu bleiben. Standpunkte zu analysieren und kritisch zu hinterfragen. Schnell zu bewerten, wer eine glaubwürdige Quelle sein kann. Das kann man im Studium lernen – aber ich glaube, wir brauchen es alle, unabhängig davon, ob wir studiert haben oder nicht.
Wir brauchen eigenständiges, kritisches Denken als Hundebesitzer.
Warum das? Weil wir Verantwortung für ein anderes Lebewesen tragen, und Entscheidungen für dieses Lebewesen treffen müssen. Ethisch haltbare Entscheidungen müssen informiert getroffen werden. Also müssen wir informiert sein.
Ein paar Beispiele:
- soll ich meinen Hund kastrieren lassen?
- mit welcher Methode erziehe oder trainiere ich meinen Hund?
- soll ich meinen Langhaarhund scheren?
- muss ich mit dem Knubbel zum Tierarzt?
- wann ist der richtige Zeitpunkt, den Hund einzuschläfern (falls überhaupt)?
- muss ich an dem Verhaltensproblem arbeiten, oder kann ich damit leben, und meinem Hund und meiner Umwelt zumuten, damit zu leben?
Wir können (und sollten) uns zu diesen Fragen beraten lassen, aber wir können die Verantwortung für die Entscheidungen meines Erachtens nicht abgeben. Und deshalb müssten wir wissen, wie man entscheidet, von wem man sich beraten lässt, und man müsste den Rat kritisch überprüfen können.
Hier schließt sich für mich der Kreis zu den vielen „wissenschaftlich fundiert“ arbeitenden Hundetrainern: Ich finde, als solcher muss man:
- ja: viel gelesen haben, viel wissen, und auf dem neuesten Stand sein, was in der Hundeforschung/ Trainingswissenschaft/ dem eigenen Spezialgebiet passiert,
aber vor allem:
- kritisch denken können
- prüfen können, ob Aussagen logisch haltbar sind
- wissen, wo man etwas nachschaut oder nachfragt, und wo nicht
- beurteilen können, wer ein Experte ist
- das Gespräch miteinander suchen, unter Fachleuten, statt sich gegenseitig schlecht zu machen
- am Erkenntnisfortschritt (in dem Fall: über Hunde) insgesamt interessiert sein, statt an Konkurrenz
- falsifizierbare Aussagen machen
- nach Begründungen suchen
- die anderen nachvollziehen lassen, was in meinem Training (z.B.) funktioniert, und was nicht, und warum
- seine eigenen verwendeten Begriffe definieren können
Ich würde euch gern noch ein paar Negativbeispiele geben, um das ganze rund zu machen. Aber ich habe mich dagegen entschieden, weil ich nicht zu denen gehören will, die aufeinander rumhacken. Ich lade euch stattdessen ein, selber mal fünf, sechs Hundeschul-Seiten anzuschauen, gerade die über „Philosophie“ oder „Methode“, und euch zu fragen: Kann das sein? Macht das Sinn? Ist das für mich nachvollziehbar? Ist das logisch? Ist es begründet? Darf ich nachfragen? Genauso gut geht es mit Facebook-Beiträgen, Blogs, Zeitschriften-Artikeln, gerne auch von „Experten“: Denken ist nicht nur erlaubt, ich bin der festen Überzeugung: als Hundebesitzer sind wir zum Mit-Denken verpflichtet! Sucht euch irgendein (Hunde-)Thema, das euch interessiert, und hinterfragt mal von Grund auf, was ihr da lest: echt, Hunde riechen DNA? Passt das zu dem, was ich bisher über Mantrailing wusste? Über DNA? Ist das gut logisch begründet? Wie haben die das rausgefunden? Macht das Sinn? Ist es widerlegbar?
Viel Spaß beim Denken!