In Aggression, Entspannungstraining, Hund im Stress, Hundeernährung, Hundeerziehung, Hundepsychologie, Hundeschule, Hundetraining, Mehrhundehaltung, Mensch-Hund-Beziehung, Philosophisches zu Hunden, Reaktivität, Spielen und Spielzeug, Tierpsychologie, Verhaltensforschung

Als ich mit einer Freundin über meine Gefühle sprach, dass ich Nomi auf eine Zukunft vorbereitet habe, die sie nun nie haben wird, dass wir irgendwie zuwenig Gegenwart hatten, und zuviel auf-etwas-hin gelebt haben – da fragte sie mich:

„Was hättest du denn anders gemacht, wenn du gewusst hättest, wie begrenzt Eure Zeit ist?“

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Mir kamen zuerst Antworten in den Sinn wie „ich hätte weniger trainiert“, „ich hätte alles mehr genossen“. Aber ich merkte, dass das nicht stimmt. Unser Training hat uns beiden Spaß gemacht, und wir haben seine Früchte auch geerntet. Und wir haben es beide genossen, das weiß ich ganz sicher. Sie konnte sich so schön über ihre eigenen Erfolge freuen! Ganz anders als andere Hunde, die ich kenne. (Aber vielleicht ist das auch jeder Hund: anders als die anderen Hunde?)

Ich bin jetzt froh, dass ich die Gegenwarts-Nomi nicht instrumentalisiert habe für etwas, das sie werden sollte. Ich liebe sie und habe sie immer geliebt so, wie sie gerade war. Ja, Nomi hat andere Hunde verletzt, auch schwer verletzt. Für mich war sie dennoch nie ein „aggressiver Hund“. Sie war ein Hund, der Probleme hat, der sich nicht wohlfühlt, und der aus bestimmten Gründen in bestimmten Situationen aggressives Verhalten zeigt. Ich will das gar nicht beschönigen, das war nicht schön.

Ich habe letzte Woche noch einmal mit Nomis früherem Frauchen gesprochen, und sie hat gesagt: „Du warst die erste Hundetrainerin, bei der ich das Gefühl hatte, dass sie Nomi mag„.  Und ich frage: Wie kann man diesen Hund nicht mögen? Wie kommt es eigentlich, dass so viele Menschen bei so vielen Hundetrainern das Gefühl haben, dass die Trainer die Hunde eigentlich nicht mögen? Dass sie die Hunde als etwas sehen, das geformt, unterdrückt, korrigiert werden muss?

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In „meiner“ Form des Hundetrainings (ich schreibe es in Anführungszeichen, denn ich habe das alles nicht erfunden) muss man weder den Hund unterdrücken, noch sein „unerwünschtes“ Verhalten. Alles, was ich versuche, ist das Verhalten überflüssig zu machen. Als allererstes schauen wir, dass es dem Hund so gut wie möglich geht. Man kann das „Antezedenzien“ nennen: alles, was dem Hund Probleme macht, macht das Auftreten des unerwünschten Verhaltens wahrscheinlicher. Im Umkehrschluss heißt das: Ich gehe davon aus, dass ein Hund, dem es rundum gut geht, kein unangemessenes aggressives Verhalten zeigt (es bleibt das ganz „normale“ Aggressionspotenzial jedes Lebewesens, mit dem wir auch nicht so gut umgehen können.)

Und an diesem Punkt schließt sich ein Kreis: Ich tue jetzt nicht viel anderes als ich es immer mit oder für Nomi getan habe – ich sorge dafür, dass es ihr so gut wie möglich geht.

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Sie soll so schmerzfrei wie möglich sein.
Sie soll so wenig Stress haben wie möglich – das heißt für sie z.B., nicht mehr Tierarztbesuche als unbedingt nötig. Sie soll sich nicht mehr aufregen als nötig. Sie soll sich bewegen können, soweit sie es noch mag und kann, und ihr hübsches Köpfchen benutzen. Sie soll Dinge tun, die ihr Spaß machen.

Ich glaube, dass ganz ganz viele Hundebesitzer – und zwar gerade die mit den „schwierigen“ Hunden, sich viel zu wenig erlauben, dafür zu sorgen, dass es ihrem Hund so gut wie möglich geht. Dass er sich gut fühlen kann. Wartet damit nicht, bis Euch die Zeit davon lauft – ein Hundeleben ist immer zu kurz. Und bitte, um Himmels Willen, macht Euch frei von der Angst, den Hund zu verwöhnen. Da ist kein schlafendes Monster in ihm, das nur wartet rauszuspringen, wenn ihr nicht aufpasst.

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Ich bin jetzt froh, dass ich Nomi (und Habca) immer verwöhnt habe. Und als Hundepsychologin und Trainerin weiß ich und sehe ich, dass ihr das geholfen hat, dass das gut für sie war. Nomi hatte das leckerste Futter, das tollste Bett, sie trug eine Kette, auf der eingraviert ist wie sehr sie geliebt wird. Sie hatte genug Bewegung, sie hat jeden Tag Neues gelernt, sie hatte eine großartige liebevolle Hundeschwester, sie hat noch im fortgeschrittenen Alter angefangen mit anderen Hunden zu spielen, sie hatte Liebhaber und Verehrer, sie durfte ein bisschen den Garten bewachen, sie hatte selbstgestrickte Schals, sie hatte die gemütlichsten Liegeplätze überall, sie hatte innere und äußere Sicherheit, beste medizinische Versorgung, fortschrittliches Training, vorhersehbare Rituale, viel Entspannung. Es ging ihr gut. Und nur auf dieser Grundlage konnte sie lernen, dass fremde Hunde eigentlich gar nicht so schlimm, oder zumindest nicht so wichtig sind. Man muss sich da nicht so drüber aufregen. Man kann ja einfach weitergehen.

Das heißt nicht, dass alles easy-peasy ist, wenn man nur lieb zum Hund ist. Im Gegenteil: dafür zu sorgen, dass es einem anderen Lebewesen gut geht, ist gar nicht trivial. Da liegen schon einige Annahmen zugrunde. Aber wenn man das einigermaßen hingekriegt hat, dann muss man natürlich dem Hund noch beibringen, wie er sich denn anders überhaupt verhalten könnte, und dazu muss man wissen, wie man einem Hund etwas beibringt, ohne dass er dadurch wieder soviel Stress kriegt, dass es ihm schlecht geht. Das ist alles nicht leicht, und ich will es nicht verharmlosen. Ich will nur sagen: Lasst uns doch erstmal dafür sorgen, dass es diesen wunderbaren Tieren, die aus irgendeinem Grund bei uns leben wollen, sich aber von dem konkreten Leben, dass sie hier zu führen haben, kein Jota ausgesucht haben – dass es ihnen gut geht. Und dann schauen wir weiter.

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„If Love could have saved You, you would have lived forever.“