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Ich finde Verhalten super. Ich finde Verhaltensvielfalt super. Verhaltensvielfalt heißt, viele mögliche Antworten auf eine Situation zu kennen.

Verhalten wird von der Verhaltensbiologie verstanden als eine durch Gene und Lernen beeinflusste Anpassungsleistung eines intakten Organismus an seine Umwelt.“

(https://de.wikipedia.org/wiki/Verhalten_(Biologie))

Was ich deshalb sehr beunruhigend finde, ist ein Trend in der Hunde-Erziehung/ im Hunde-Training, den Hund möglichst passiv zu machen. Möglichst leise, nicht störend, unauffällig. Ein bisschen so, wie manche Leute das mit Kindern machen, oder? Von wegen „Kinder soll man sehen und nicht hören“, oder so?

Ein „braver“ Hund, das scheint mir derzeit ein Hund zu sein, der möglichst nicht auffällt. Der dasitzt und die Klappe hält. Der an der Leine neben seinem Menschen herlatscht und nie zum Schnuppern stehenbleibt.

Ein „braver“ Hund, wie er im Fernsehen, in Zeitschriften und im Internet derzeit oft beschrieben wird – das ist meines Erachtens ein depressiver Hund! Ein Hund, der kaum noch Verhalten zeigt.

Das ist nicht nur schade, weil Hundeverhalten so interessant und so spannend zu beobachten ist. Das ist auch schade, weil man Entwicklungen und Tendenzen im Verhalten und im Gefühlsleben des Hundes dann nicht mehr sehen kann! Ein Hund, der nicht knurren darf, hält Situationen so lange aus, bis er beißen muss. Ein Hund, der aus dem Sitz-Bleib nie aufstehen darf, lässt sich so lange vom Kind streicheln, bis er platzt. Ein Hund, der nie Quatsch machen darf, kann schlechter neue Strategien für Probleme entwickeln (behaupte ich).

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Und: je weniger Verhalten ein Hund zeigt, umso schlechter kann ich beurteilen, ob es ihm gut geht! Das wird spätestens dann wichtig, wenn der Hund älter wird. Jetzt reduziert sich sein Verhalten sowieso. Um zu beurteilen, wie es ihm geht, brauche ich aber Verhalten!

Ich meine mit Verhalten nicht unbedingt Aktivität. Ich meine eine möglichst große Bandbreite dessen, was im natürlichen Verhaltensrepertoire des Hundes vorkommt, ausleben zu können und zu dürfen. Ohne dass ein Mensch kommt, und 65% der Verhaltensweisen erstmal durchstreicht, weil sie ihm aus irgendeinem Grund nicht passen.

Ich meine nicht, dass ein Hund ständig bellen muss, andere Tiere jagen, die Inneneinrichtung zerstören und fremde Menschen belästigen.

Aber ich finde, dass ein Hund mal bellen darf, ja! Dass ein Hund jagen darf (wen oder was, darüber können wir ja reden!). Dass ein Hund bewachen darf, Sachen zerstören, zerfetzen, zerreissen (s.o.). Sich schmutzig machen, sich in stinkendem Zeug wälzen, Kissen und Stofftiere rammeln, ungehorsam sein. Sich Strategien überlegen, wie er an das Schweineohr auf dem Esstisch kommt. Knurren, den Nachbarshund doof finden, nicht-gestreichelt-werden-Wollen. Draußen Schätze finden (ihr wißt schon, was ich meine…), eine Schnupperstelle wichtiger finden als Leinenführigkeit, und einfach mal keinen Bock auf gar nichts haben.

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„Das natürliche Verhaltensrepertoire“ einer Tierart kann man übrigens aufschreiben – ja, komplett. Das nennt man dann „Ethogramm“, und es ist nicht mal nebenher gemacht. Ein super Beispiel für das Ethogramm von Hunden finde ich Sue Sternbergs Projekt mit Filmen.

Eine schöne Übung ist Ethogramm-Schreiben nicht nur für (angehende) Hundetrainer, sondern für alle Hundebesitzerinnen: Weil einfach mal Zuschauen so heilsam ist. Es fällt uns geschichtenerzählenden Menschen so schwer! Immerzu höre ich im Erstgespräch „der Hund will mich beschützen“, der will dieses und jenes und das nicht, und wenn ich frage „ja aber was MACHT er denn?“, kann es kaum jemand beantworten. Wie sieht dein Hund aus? Was machen seine Ohren, seine Augen, seine Lefzen, seine Körperspannung? Hinschauen, ohne gleich gut oder blöd zu finden, ist eine gute Übung.

Wenn ihr nun findet, euer Hund zeigt eher wenig Verhalten, probiert doch mal, ihn wieder ein wenig kreativer, einfallsreicher, vielseitiger zu machen. Es geht mir dabei nicht darum, Verhaltensweisen zu trainieren, sondern den Hund selbständiger und aktiver zu machen. Ein paar Ideen dazu:

  • Verzichte auf Schimpfen und Strafe, wenn dein Hund deine Regeln übertritt. Beides führt zu Rückzug und weniger Verhalten. Überlege dir stattdessen, wie du deinem Hund deine Regel besser erklären kannst
  • Wenn dein Hund lustige Ideen hat, auf Möbeln herumklettert, Sachen klaut: betreibe besseres Management, damit es nicht gefährlich wird, und überlege dir ansonsten, ob das wirklich so schlimm ist, wie du zuerst glaubst
  • Lass deinen Hund viel Neues probieren, sofern es für ihn sicher und nervlich passend ist. Fördere Erkundungsverhalten mit allen Sinnen, wo immer es geht. hundephilosophin1706-15
  • Informiere dich über „kreatives Shapen“ und probiere es mit deinem Hund. Mache Kreativitätsspiele wie „zeig mir was Neues“.
  • Zeige deinem Hund, dass du seine kleineren, leiseren Signale siehst und verstehst. Ich bedanke mich zum Beispiel beim Hund, sobald er warnt, und entschärfe die Situation.
  • Benenne Gegenstände und Aktivitäten, so dass du deinen Hund fragen kannst: „Soll ich werfen? Willst du Zergeln?“ usw.

Lass deinen Hund Probleme lösen. Es muss ja nicht das Schweineohr auf dem Tisch sein – überleg dir ähnliche Spiele und Aufgaben. Ermuntere ihn, dran zu bleiben, aber hilf ihm möglichst wenig. Anregungen gibt es im Internet, in Büchern und im Hunde-Shop viele. Achte darauf, dass mal die Pfoten, mal die Nase gefragt sind. Es soll eine Herausforderung sein, aber machbar.

Bild: Wie kommen wir an den Dummy? Rike hat die Idee, aber Habca muss sie umsetzen, denn der Dummy hängt fest.

  • Überlegt Euch, oder informiert Euch, was zum Normalverhalten des Hundes gehört. Aggressionsverhalten ist Teil des Normalverhaltens. Angst ist normal. Jagdverhalten ist normal. Sich wälzen ist normal. Sich schmutzig machen ist normal. – Notiert euch, was davon ihr a) wirklich keinesfalls tolerieren könnt b) ihr modifizieren könnt, damit der Hund es ungefährlich ausleben kann (z.B. Jagen, Zerstören), c) ihr ab heute einfach ein bisschen großzügiger mit umgehen könnt (z.B. Wälzen?)
  • nicht normal ist übrigens: immer nur entspannt sein! Aber dazu ein anderes mal mehr…

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PS: WordPress erlaubt mir derzeit keine Bildunterschriften… die müsst ihr euch jetzt selber denken. Aber ich wette, ihr wolltet immer schonmal sehen, wie ungezogen meine Hunde sind, wenn scheinbar keiner guckt, oder? Ich find’s jedenfalls super!

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