Manchmal läuft es im Leben nicht so, wie man das gerne hätte.
Das geht auch Hunden so. Etwas „klappt“ nicht: Man kriegt den Stock nicht aus dem Wasser gezogen, man verliert das Spielzeug an die große Schwester, der Ball kullert unter den Sessel, der Mensch rückt das Futter nicht raus.
Es gibt verschiedene Strategien, wie man sich in solchen Situationen verhalten kann. Zwei finde ich beim Hund fördernswert, ich paraphrasiere sie mal als „bleib dran“ und „tröste dich anders“.
„Es läuft nicht so, wie man das gerade gern hätte“: das kann man ja auch „Frust(ration)“ nennen. Frust gut aushalten zu können, halte ich für eines der wichtigsten Ziele beim Aufziehen eines (Begleit-)Hundes! Frust entsteht, wenn Impulse kontrolliert werden müssen: wenn man dem schnellen bewegten Objekt nicht gedankenlos hinterher hetzen soll. Wenn man den Giftköder nicht fressen soll. Wenn man an der Leine gehen soll, obwohl man lieber rennen möchte. Wenn man ruhen soll, obwohl man spielen möchte. So gesehen, ist das Leben eines jungen Hundes voller Frust!
Ich beobachte, dass viele Menschen glauben, man könnte einen Hund (oder ein Kind?) lehren, Frust auszuhalten, indem man es absichtlich Frustrationen aussetzt. Einfachstes Beispiel: Man legt einen Keks auf den Boden, sagt „Nein“, schubst den Hund weg.
Mir scheint, dass ein junger Hund so eher lernt: mein Besitzer ist doof – ich muss schneller sein – schnell runterschlucken bevor Herrchen kommt – man muss um Ressourcen kämpfen – usw. Ich möchte, dass mein Hund lernt: „das kann ich jetzt nicht haben, aber mir geht es gut dabei, und oft kann ich dafür auch was anderes haben. Ich kann Frust gut aushalten.“ Seht ihr den Unterschied?
Rike hat von Anfang an viel „Frustrationstoleranz“ gezeigt: wenn sie etwas nicht haben oder nicht tun konnte, hat sie sich nach einiger Zeit etwas anderes gesucht. Das habe ich dann einfach, immer wenn ich es gesehen habe, unterstützt, gelobt oder ermöglicht.
[Natürlich gibt es auch Punkte, an denen sie überhaupt keine Frustrationstoleranz hat: zum Beispiel hat sie es von Anfang an gehasst, festgehalten zu werden. Man soll das mit Welpen ja machen! Man soll sie halten und auf den Rücken drehen und solche Sachen, damit sie lernen, es zu „akzeptieren“. Auch hier ist meine Frage wieder: lernen sie das? Lernen sie nicht viel mehr: „Frauchens Hände kommen – schell weg“ und „Festgehalten werden ist ganz schlimm“ und „ich muss was finden womit ich mich durchsetzen kann, ich probiere alles, ah, beißen geht am Besten“? Ich finde, Festhalten ist kein Punkt, an dem ich „mich durchsetzen“ muss und was sie ums Verrecken aushalten muss. Ich habe ihr lieber beigebracht, ruhig stehen zu bleiben, wenn ich „Anleinen“ sage, weil sie weiß, dass ich das nicht ausnutzen werde, um sie festzuhalten. Ich habe ihr beigebracht, dass ich „Hochheben“ sage, bevor ich sie hochhebe, und wir haben die eine Art gefunden, wie sie getragen werden gut findet (mein Mann sagt, es sehe aus als trüge ich einen Aktenkoffer). Sie kann still stehen, wenn ich ihr Zecken ziehen will oder sie kämme. Natürlich wäre es für mich praktischer, sie in solchen Momenten festzuhalten. Aber wenn sie es doch so doof findet, kann ich doch mein Primatengehirn auch mal dazu benutzen, Kompromisse zu finden. Oder Vorstufen.]Mit Frustration gut umgehen können, ist einer der Gründe, dass bei uns viel Spielzeug „zur freien Verfügung“ herum liegt (und ihr wisst, wie sehr Hundetrainer über sowas schimpfen!). Ich möchte, dass der Hund lernt: „Wenn ich das eine nicht haben kann, kann ich mir was anderes holen“ und auch: „wenn ich so aufgeregt bin, dass ich alle(s) beißen muss, kann ich mir dazu ein Spielzeug holen“, „wenn Schwesterchen nicht spielen will/ alle mich ignorieren, hol ich mir ein Spielzeug und spiel allein“. Oder auch: „wenn der Zahnwechsel weh tut, und ich die Möbel nicht kauen darf, suche ich mir was anderes“.
Nun gibt es ein paar Situationen, in denen wir wollen, dass der Hund dranbleibt – obwohl etwas nicht (gleich) klappt. Bei mir sind das Suchspiele oder das Mantrailing. Da soll der Hund nicht sagen „das wird mir zu schwer, ich nehme halt ne andere Spur“. Er soll aber auch nicht wütend werden! Manche Hunde beißen beim Mantrailen in die Leine, wenn es schwierig wird, geraten in Frust, springen an ihren Menschen hoch, oder setzen sich hin und machen gar nichts mehr (natürlich versucht man das Training so aufzubauen, dass der Hund nie so viel Frust hat). Wenn Habca mit einem Intelligenzspielzeug nicht schnelle Erfolge hat, legt sie sich davor und wufft. Das kann sie lange durchhalten!
Genau für dieses Thema habe ich mit Rike von Anfang an ganz viele Spiele gemacht, die man als „Problemlösungsspiele“ bezeichnen kann. Und ich habe viel Freies Formen (Shaping) mit ihr gemacht. „Probier was aus“, ist bei beidem die Botschaft. „Selbstwirksamkeit“ könnte man auch sagen, oder „Kontrollüberzeugung“, und es ist für das Lebens-Glück von Mensch und Tier der vielleicht wichtigste Faktor! Das Gefühl zu haben, „ich kann etwas bewirken“. Beim Freien Formen ist es: „Ich kann machen, dass es klickt“. Rike fallen da tausend Sachen ein! Hunde, die „normal“ erzogen wurden, probieren zwei, drei Sachen, dann geben sie auf. Hunde mit wenig Frustrationstoleranz fangen an zu kläffen. Ich möchte nicht, dass Rike kläfft, wenn es schwierig wird. Ich möchte, dass sie was anderes probiert.
Man kann das auf alle Bereiche des (Hunde-)Lebens übertragen: Ich möchte, dass Rike weiß, dass sie ganz viele Möglichkeiten hat sich zu verhalten, wenn wir einen fremden Hund treffen. So viele Hunde kennen nur eine oder zwei Möglichkeiten (Spielen! Anbellen und Vertreiben! Oder: Spielen, und wenn der nicht Spielen will, ist er doof.) Ich versuche zu fördern, dass Rike verschiedene Sachen ausprobiert, um immer mehr situationsangemessen zu reagieren. Und wenn einer gar keinen Kontakt will, weiß sie: sie kann es woanders, wann anders probieren, oder was anderes schönes machen.
Jetzt habe ich Euch wirklich ausführlich erzählt, warum mir diese Frustrationstoleranz so wichtig ist. Wisst ihr warum? Weil das im Widerspruch steht zu einem ganz wichtigen, ganz verbreiteten Trainingsprinzip!
Mir ist das aufgefallen, als ich unter Beobachtung einer anderen Trainerin mit Rike arbeitete. Ich sage ihr zu Beginn einer Trainings-Session „Mach was“, und sofort fängt sie an, auszuprobieren: Sie sitzt, liegt, läuft rückwärts… ich klicke das, was ein erster Schritt zu der Übung ist, die ich machen will. Die Trainerin sagte: „Der Hund macht ja immer tausend Sachen, er soll aber doch jetzt gerade nur eine machen! Das ist ja Stress! Lass sie nur einen Schritt rückwärts und wieder vorwärts machen, das ganze andere soll sie lassen.“ – Das war tatsächlich schwer für uns! Und als Rike nicht verstand, was ich wollte, ging sie weg und schnupperte an den anderen Seminarteilnehmern herum. Ich fand das ganz schlimm, denn sie war noch nie im Training weggegangen, und für mich hieß das: der Hund ist durch das Training so gestresst, dass er eine Pause braucht. – In dem Moment sagte die Trainerin: „Pass auf, dein Hund belohnt sich da gerade selbst.“
Auf der Situation musste ich ein paar Wochen herumdenken, mit dem Ergebnis: Das Trainingsprinzip, das meines Erachtens im Widerspruch zu guter Frustrationstoleranz steht, ist „Control the rewards“, kontrolliere die Belohnungen.
Ich sage sowas selbst ganz oft: wenn der Hund an der Leine zieht, und so zu einer spannenden Schnupperstelle kommt, sage ich dem Besitzer: „jetzt hat er sich für das Ziehen hochwertig belohnt (wird also mehr ziehen)“. Versuche, die Schnupperstelle als Belohnung für Nicht-ziehen einzusetzen.“
Im Extremfall führt das zu „Nothing in Life is Free“- Training: alles, was der Hund will, wird an eine vorherige Leistung geknüpft.
Im Prinzip ist es ja logisch: wenn ich den Hund mit Hühnchen belohnen will, macht es Sinn, nicht Hühnchenstücke überall rumliegen zu lassen! Und da die so genannten „Umweltbelohnungen“ oft hochwertiger sind als Futter und Spielzeug, gilt das für sie natürlich besonders.
Je wichtiger mir das ist, was ich mit dem Hund trainieren will, desto mehr Belohnungs-Gewicht will ich natürlich darauf legen. So ist es unter Diensthunde-Ausbildern oder ehrgeizigen Hundesportlern klar, dass der Hund im Rest seines Lebens möglichst wenig gute Gefühle/ Spaß/ Fressen/ Erfolg/… haben soll! Er soll das mit seiner „Arbeit“ verknüpfen.
Ich glaube, ich habe diesen Punkt noch nicht fertig gedacht… Vielleicht ist letztlich die Frage, was einem wichtiger ist. Ich will einen gut trainierten Hund, der zügig und zuverlässig auf mich hört. Ich will aber auch einen ausgeglichenen Hund. Keinen Junkie in irgendeiner Hinsicht. Ich glaube, dass man aus Rike sehr schnell einen Junkie hätte machen können. Sie hat enormen Arbeitseifer. Vielleicht scheint mir deshalb die Gewichtung von „es ist auch nett, wenn man beim Agility nicht dran ist“ wichtiger – und das ihr selbst mehrere Möglichkeiten einfallen, was man da machen könnte. Also los, geh dich selbst belohnen, kleine Maus!