Ich finde, dass Menschen sich oft übergriffig gegenüber Hunden verhalten (Hunde auch gegenüber Menschen, und Hunde gegenüber Hunden). In den letzten Monaten ist mir das besonders aufgefallen, weil ich einen niedlichen Welpen/ Junghund öfter auf dem Arm hatte – und alle möglichen Leute mir mit ihren Händen hemmungslos und ungefragt vor Gesicht und Busen rumfuchtelten, um das Tierchen zu streicheln. Ich gebe zu, ich bin empfindlich, was meine Individualdistanz angeht. Ich finde ein bisschen Abstand ganz gut, bis ich jemanden zur Begrüßung umarme, müssen wir schon ein paar Mal durch Dick und Dünn gegangen sein, und wenn mir jemand einen Fussel von den Klamotten machen will, zucke ich wahrscheinlich erstmal zurück.
Dass wir uns nicht missverstehen: ich rede von netten, wohl meinenden Menschen. Die ihre Hände nicht bei sich behalten können! Habca kann das ja so gar nicht ab, vielleicht habe ich dadurch angefangen, darauf zu achten. Ja, sie ist wuschelig – aber gibt das jedem das Recht, sie anzufassen? Als sie klein war, und ich unerfahren, dachte auch ich: Ja, Hunde müssen sich von Menschen anfassen lassen. Wenn Kinder fragten „darf ich die streicheln?“ (während der Frage schießen die Händchen ja meist schon ins Hundegesicht) hielt ich sie fest, obwohl ich merkte, dass ihr das Ganze unangenehm war. Habca möchte nicht angefasst werden – aber um zu lernen, dass das ok ist, habe ich lange gebraucht.
Lustigerweise sind gerade wir zwei Distanz-Heinis, Habca und ich, fast den ganzen Tag auf Tuchfühlung. Sie lehnt sich ständig an mich an, liegt auf meinen Füßen oder mit dem Kopf in meinem Schoß – und ich kraule selbstvergessen in ihrem Fell.
Der Abstand, der sich zwischen zweien gut und richtig anfühlt, ist nämlich unterschiedlich:
- je nach Vertrautheitsgrad, Sympathie und Beziehung
- nach Tageszeit, Aktivitätslevel, aber auch Jahreszeit
- je nach örtlichen Bedingungen
- je nach Kultur(kreis) und Charakter , beim Hund je nach Rasse
Unter „Individualdistanz“ versteht man in der Verhaltens-Biologie den Abstand zwischen zwei Individuen der gleichen Art, der noch nicht zu Ausweich- oder Angriffsreaktion führt. Ich denke, dass Hunde auch gegenüber Menschen eine Individualdistanz haben, aber vielleicht ist es genauer, über „Proxemik“ zu sprechen: Raumverhalten als Teil der nonverbalen Kommunikation. Außer dem bloßen meßbaren Abstand bezieht man hier noch die Blickrichtungen und Zuwendung der Körper ein, und mögliche Berührungen: wer wen, welche Körperteile usw.
Wenn man alle Beteiligten einfach mal machen lässt, kann man beobachten, wie Hunde (und Menschen) ihre Distanz zueinander „absprechen“. Z.B. ordnen sich Vögel auf der Stromleitung in einem ganz bestimmten Abstand zueinander an.
In Hundegruppen halten manche mehr Abstand von manchen anderen, oder von allen, während andere die Nähe ihrer Artgenossen suchen und am liebsten immer auf Tuchfühlung wären.
Dass Habca mal mit einem anderen Hund in einem Körbchen kuschelt, kann ich mir kaum vorstellen. Aber mit Nomi hat sie zum Beispiel, als sie sich sehr gut kannten, gern Rücken an Rücken gelegen.
Wenn man anfängt, auf diese räumliche Komponente zu achten, bemerkt man, dass Menschen die Individualdistanz von Hunden ständig unterschreiten:
- beim Halsband/ Geschirr anziehen und ausziehen
- beim An- und Ableinen
- wenn wir sie bitten oder zwingen, bei Fuß zu gehen
- beim Streicheln, Klopfen und Belohnungsversuchen
- beim Ansprechen auf der Straße
- bei der Körperpflege: Duschen, Abtrocknen, Kämmen, Zecken suchen, Augenwinkel auswischen, Verletzungen suchen, Pfotenuntersuchung,
- beim Leisten von Erster Hilfe und beim Tierarztbesuch
- und oft auch im Training