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Ein neuer Hund ist eingezogen. Was jetzt? Was trainiert man zuerst? Führt man alle Regeln sofort ein, oder lässt man dem Neuen erstmal Zeit zur Eingewöhnung?

Wollt ihr wissen, wie ich es mit Balou gemacht habe?

Notiere dir zunächst alles, was du über den Hund weißt, über seine Genetik, seine Gesundheit, sein Leben. Vorlieben und Trainingsprobleme helfen meist nicht weiter, da sie sich mit dem Umzug eh ändern werden.

Ich kannte Balou ja als Kundenhund ein wenig, aus einer anderen Perspektive, und nicht lange am Stück. Mein Eindruck (Interpretation!) war, dass er gestresst ist durch Überstimulation und Unterforderung. Außerdem wusste ich, dass er eine Kreuzung der Rassen Australian Shepherd, Border Collie und Tiger ist: ich erwarte also eine ziemlich niedrige Reizschwelle, ein schnelles Ansprechen auf vor allem optische Reize und Bewegungen aller Art, auch in weiter Ferne. Eine hohe Sensibilität für Reize und Stimmungen; die Bereitschaft, mental und physisch viel aktiv zu sein und immer leicht anknipsbar zu sein. Dazu eine Mischung aus großer Selbständigkeit und leichter „Führigkeit“. Der Hüte“trieb“ sollte recht stark ausgeprägt sein, da eine aktuelle Auslese auf Leistung stattfindet (arbeitende Elterntiere), er stammt nicht aus einer Familienhundezucht. Außerdem ist wegen der Rassen Australian Shepherd und Tiger damit zu rechnen, dass er mit Kneifen und viel Durchsetzungskraft hütet.

Darüberhinaus wusste ich, dass er ein zweijähriger unkastrierter Rüde ist und mir noch nicht erwachsen vorkommt (körperlich und mental). Mit stärkerem Sexualtrieb und allerlei pubertären Verwirrungen ist zu rechnen.

Ich kannte auch ein paar Baustellen, die sich größtenteils aus dem oben genannten ergeben, und die ich hier zum Schutz der Privatsphäre seiner Vorbesitzer nicht breittreten will.

Hinzu kam nun die Belastung des Umgebungswechsels und des Wechsels der Bezugspersonen. Das ist immer und für jeden Hund eine Belastung/ ein Stressor, egal, ob wir die neue Haltung als besser oder schlechter beurteilen. Für Balou war es auch noch ein Umzug von der Stadt aufs Land (mit völlig anderer Reizlage), der Einzug in einen Haushalt, in dem schon ein Hund lebt, mit dem er sich auseinandersetzen muss. Das Leben mit Kleinkind kannte er schon, aber natürlich ist mein Kleinkind anders als andere Kinder.

Für mich stand damit als erste Phase fest:

Ankommen und Entstressen

Dazu unterstütze ich den Hund gern mit folgenden Mitteln:

  • ein Pheromonhalsband
  • viel Gelegenheit zu Rückzug und Schlaf, viel Ruhe, viel gemeinsam Ruhen. Dabei regelmäßig Entspannungsmusik.
  • viel in meiner Nähe sein dürfen
  • Aufregung und Stress vermeiden, z.B. keine aufregenden Orte besuchen, wenig Hundekontakt. In Balous Fall heißt das auch: es gibt erstmal keine Bälle und kein aufregendes Spielzeug.
  • die direkte Umgebung des neuen Wohnorts kennen lernen, viel zu Fuß und ums Haus herum gehen, markieren dürfen
  • Schleppleine nutzen, gegebenenfalls auch Hausleine (damit muss ich viel weniger von Hund einfordern, er kennt meine Signale und Regeln ja noch nicht. Ich kann und will mich noch nicht auf ihn verlassen, und betreibe so ganz hundeschonende Schadensvermeidung)
  • ruhige „Auslastung“ sicherstellen, ich mache das, indem er gleich morgens als erstes sein Frühstück (TroFu + Leckerli) allein im Hof suchen darf („sprinkeln“). Später am Tag gibt es einen Kong zum Ausschlecken.
  • relativ fester Tagesablauf
  • ich gestalte Spaziergänge überwiegend so, dass er viel in Ruhe schauen und schnüffeln kann, in meinem Umfeld (Schleppleine). Ich laste den Border Collie-Mix auf diesen Spaziergängen nicht aus! ;-) (Oder doch?) Was ich meine: ich übe da keine tausend Tricks, er braucht auch gerade kein Enrichment, er muss seine neue Welt kennen lernen, und braucht Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
  • ich überwache und moderiere die Interaktion mit Rike und mit meinem Kind
  • ich trainiere in dieser Phase wirklich wenig. Ich verstärke natürlich, was schon da ist und mir gefällt, und ich locke Verhalten, das ich dringend brauche, der Hund aber noch nicht kennt. Balou hat z.B. in den ersten Tagen viele Kilo Futter gegessen für an-der-Leine-neben-mir-Hergehen. Ich locke auch ins Auto springen, zu mir kommen, an anderen Hunden vorbeigehen – wenn es sein muss auch Sitz und Platz. Bevor ich mit dem neuen Hund ins diskutieren komme, oder tausend Dinge auf einmal trainieren muss, zeige ich ihm doch einfach, wie ich es gern haben will!

Kennenlernen

Während dieser Ankomm-Phase, die mindestens zwei Wochen dauert, ist es deine Aufgabe als Mensch, deinen neuen Hund genau zu beobachten:

  • was macht ihm Schwierigkeiten?
  • wann fährt er hoch?
  • wann entspannt er besonders gut? Welche Bedingungen scheinen da zu helfen?
  • wann tritt „unerwünschtes Verhalten“ auf? Welches?
  • was ist ihm wichtig? (möglicherweise als Verstärker einsetzbar)
  • was meidet er?
  • was frisst er gern? Was verträgt er?
  • wie geht er mit Hundebegegnungen um, mit Menschen, mit den Umweltbedingungen in deinem Leben? Was macht ihm Mühe?
  • ist er abends müde? Überdreht (was in der Regel entweder unausgelastet oder überlastet sein könnte)? Schläft er gut? Wie wacht er morgens auf?
  • was fehlt, damit ihr ein zufriedenes Team werden könnt?

Die wichtigsten Stellschrauben

Im folgenden Bild habe ich versucht, die wichtigsten Skalen, auf denen wir uns dabei bewegen, zu nennen: Wir suchen den optimalen Bereich…

  • zwischen Schutz vermitteln und Freiräume lassen
  • zwischen Abenteuer und Ritualen
  • zwischen Auslastung und Ruhe
  • zwischen Anpassung und Natürlichkeit
  • zwischen Belohnung und leistungsunabhängiger Versorgung

 

Wo dieser optimale Bereich für dich und deinen Hund, für mich und meine Hunde ist, das kann man aufgrund der Datensammlung oben in etwa abschätzen, und dann muss man manches Ausprobieren, indem man an diesen wichtigen Stellschrauben dreht.

Für Balou und mich beginne ich an den Schräubchen Auslastung vs. Ruhe und Anregung vs. Rituale zu drehen, und schaue, wie er reagiert – nicht nur unmittelbar, sondern auch am Tag und den Tagen danach.

Und du und dein Hund? Was braucht ihr?

 

 

Was braucht (d)ein Hund wirklich?

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Zum Weiterlesen:

Zwei unterschiedlichen Hunden gerecht werden

Was Hunde über die Träume und Ziele ihrer Menschen verraten

Freiheit für Hunde?

Viel Freiheit, oder viel Training – was braucht dein Hund?